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Drachensturm

Titel: Drachensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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Kemaq begriff, dass sie Anstalten machten, in den Himmel aufzusteigen. Er kroch vom Rand zurück, sprang auf und rannte zurück zu der Hütte, in der Misqi den Quipu knüpfte.
    Sie erwartete ihn hinter der Tür, die Knotenschnur schon in der Hand. » Was hat dieses fürchterliche Brüllen zu bedeuten?«, fragte sie.
    » Ich weiß es nicht genau«, sagte Kemaq, » sie scheinen über irgendetwas sehr gestritten zu haben.«
    » Ein Streit?«, fragte Misqi mit gerunzelter Stirn.
    » Die Männer stritten mit den Ankay Yayakuna, die sie wohl Drachen nennen, aber auch untereinander. Vielleicht ging es um die Frau mit den goldenen Haaren und der Borla«, fügte er unsicher hinzu.
    Misqi kaute auf ihren Lippen. » Ich weiß nicht, ob es gut für die Menschen ist, wenn Götter in Zwist geraten. Am Ende wird der Streit doch wieder nur auf unserem Rücken ausgetragen.« Dann schüttelte sie den Kopf. » Die Priester mögen wissen, was das bedeutet. Folge mir, denn es wird Zeit, dass du nach Tikalaq zurückkehrst.« Sie öffnete eine verborgene Tür hinter einem Wandteppich. Dahinter führte eine Treppe hinunter ins Innere des Tempels. Sie leuchtete mit einem Kienspan und hastete voraus, während Kemaq, noch erfüllt von den Eindrücken dessen, was er auf dem Platz gesehen hatte, ihr folgte.
    Es ging etwa zwei Stockwerke hinab, bevor sich an einem Treppenabsatz eine Kammer öffnete. Zwei weitere Tempeljungfrauen saßen dort. Überrascht stellte Kemaq fest, dass durch vier winzige Öffnungen Tageslicht in die Kammer fiel. Misqi hatte seinen Blick wohl bemerkt, denn sie sagte: » Du hast vielleicht die Verzierungen auf der Außenwand gesehen. Nicht alle sind nur Schmuck.« Die zwei Frauen sahen sie erwartungsvoll an, doch Misqi vertröstete all ihre Fragen auf später und führte Kemaq weiter hinab. Nach zwei weiteren Stockwerken endete die Treppe in einer engen Kammer. Auch dort fiel durch kleine dreieckige Öffnungen Licht herein. Die Dienerin spähte nacheinander durch sämtliche Gucklöcher, bevor sie sich umdrehte und sagte: » Es sind jetzt keine Wachen hier auf der Mauer, doch kann sich das schnell ändern. Wir müssen uns beeilen.«
    » Was ist das hier?«, fragte Kemaq verwirrt.
    » Nicht immer waren die Zeiten ruhig und friedlich, Chaski«, sagte die Chimú, » deshalb gibt es hier einen geheimen Ausgang.« Sie nahm ein Seil zur Hand, knotete es an einem in die Wand eingelassenen Bronzering fest und sagte dann: » Jetzt deine Botschaft, Chaski. Sage dem Diener der Sonne folgende Worte vom Diener des Mondes: › Die Fremden sind mächtig, Götter vielleicht. Ihre Diener tragen eine Haut, härter als Silber, Kupfer oder Leder, und die Kraft der Götter selbst ist größer als die von tausend Männern, und ihr Atem ist Feuer. Dreizehn haben wir gezählt. Selbst wenn du für jeden der fremden Götter tausend Mann aufbieten könntest, rate ich dir von einem Angriff ab, bevor nicht Inti oder ein anderer unsere Götter dir ein klares Zeichen gibt. ‹ « Kemaq prägte sich die Worte ein. Misqi hieß sie ihn laut wiederholen, was er, etwas beleidigt darüber, dass sie an seinen Fähigkeiten zweifelte, tat.
    Ein drittes Mal spähte die Tempeljungfrau hinaus. Kemaq hörte die schweren Schritte eines der Fremden. Er blickte neugierig durch eine Öffnung. Über die Mauer ging gemächlich ein Mann, wieder mit einer der seltsamen Axtlanzen bewaffnet. Es war keiner der Ritter, wie Kemaq aus dem Umstand schloss, dass seine Rüstung weniger prachtvoll war und auch nicht den ganzen Körper bedeckte. Sie warteten, bis der Mann so weit entfernt war, dass sie ihn nicht mehr hören konnten, dann öffnete Misqi die geheime Tür und warf ein Seilende hinaus. Kemaq ergriff es und kletterte eilig die Lehmwand hinab. Kaum war er auf dem Boden, wurde das Seil schnell hinaufgezogen. Er hastete dicht unter die Mauer und lief los. Als er noch einmal zurückblickte, war die geheime Pforte schon nicht mehr zu sehen.
    » Das ist eine Katastrophe«, sagte der Tressler, nicht zum ersten Mal. Keiner der anderen Anwesenden antwortete. Mila fühlte sich äußerst unbehaglich und sehr verloren. Sie stand in der Mitte des Raumes und versuchte noch zu begreifen, was da unten geschehen war. Nabu hatte sie ausgewählt! Er hatte keinen der drei Schildknappen, sondern sie, Anna Milena Leonore von Tretzky, dazu auserkoren, auf seinem Rücken zu sitzen. Ihr wurde heiß und kalt, wenn sie nur daran dachte. Dass es jetzt so still in der Kammer war, lag wohl auch daran,

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