Drachensturm
Dennoch sollten wir vorsichtig damit sein, aber warte …« Er schien auf etwas zu lauschen.
Jetzt hörte Mila es auch, da war ein leises Rauschen in der Luft: Ein anderer Drache näherte sich.
» Du bist weit von unserem Jagdgebiet entfernt, Nabu Einzahn«, zischte die höhnische Stimme Nergals.
Mila schauderte es. Wann immer dieser Drache sprach, hörte sie kalte Verachtung aus seiner Stimme heraus.
» Was kümmert es dich?«, gab Nabu zurück.
» Viel, denn Marduk schickt mich. Er will dich sehen, dich und dieses blinde Mädchen.«
» Und er schickt ausgerechnet dich?«
» Er hat nach dir gefragt, und ich habe gesehen, wie du dich davongeschlichen hast.«
» Hast du nichts Besseres zu tun, als mir nachzuspionieren, Nergal?«
Der andere Drache zischte böse. » Vieles, Einzahn, vieles, und das meiste täte ich lieber, als auf dich aufzupassen. Aber es scheint nötig zu sein, denn du bist leichtsinnig und dumm.«
» Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, erwiderte Nabu.
Mila hörte ihm seine Besorgnis an.
Nergal lachte hämisch. » Glaubst du, auch nur einem von uns wäre entgangen, was bei deiner albernen Wahl geschehen ist?«
Nabu schwieg, und Mila bekam ein mulmiges Gefühl. Hatte Nergal die Verbindung etwa bemerkt? » Es ist nichts geschehen, dessen wir uns schämen müssten«, hörte sie sich sagen.
Wieder lachte der Drache. » Marduk wird dir schon sagen, was es heißt, in unsere Geheimnisse einzudringen, Ritterschwester.« Das letzte Wort spuckte er geradezu aus. Dann hörte sie, wie er seine Flügel anlegte und mit einer schnellen Drehung hinabschoss.
Mila fröstelte. Ihr war, als seien sie eben durch einen eisigen Wind geflogen. » Es tut mir leid, Nabu, ich wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen.«
Nabu brummte missgelaunt. Er schlug nicht mehr mit den Flügeln, und Mila spürte, dass sie langsam tiefer sanken. » Du hast nichts Falsches getan, und ich hätte nicht erwartet, dass Marduk mich zur Rede stellen würde. Aber du darfst nicht viel auf das geben, was Nergal sagt. Er hat Freude daran, andere zu verunsichern.«
» Was hat er eigentlich gegen dich?«, fragte Mila, denn ihr schien es, dass Nergal gegenüber Nabu noch eine Spur boshafter war als gegen seine anderen Drachenbrüder.
» Eine alte Geschichte«, erwiderte Nabu ausweichend. » Vielleicht erzähle ich sie dir bei anderer Gelegenheit. Aber jetzt halt dich fest, Prinzessin, ich bringe uns schnell hinunter.« Nabu legte die Flügel an und ging in einen schnellen Sturzflug über. Von weit unten hörte Mila einen Drachen brüllen. Sie klammerte sich an den Sattel und fühlte nur, wie sie durch ihre ewige Finsternis stürzten. Ihr Mut sank, je näher sie der Festung des Mondes kamen.
Ein markerschütterndes Brüllen dicht über ihnen ließ Staub von den Wänden rieseln. Chumun warf sich auf den Boden und hielt sich die Ohren zu. Das Dröhnen verklang, und Kemaq, der für einen Augenblick gefürchtet hatte, dass gleich die mächtigen Klauen eines Gottes das Dach von ihrem Versteck reißen würden, atmete auf. Wieder waren sie unentdeckt geblieben. Kemaq wagte einen Blick durch den niedrigen Eingang. Der Mond war ganz verschwunden, und die Sterne schienen schon zu verblassen. Die Zeit lief ihnen davon.
» Wir müssen weiter«, sagte er.
Chumun sah ihn verstört an, gab aber keine Widerworte. Die schmale Gasse lag verlassen. Kemaq lief los, und der Chimú folgte ihm. Es war ruhiger geworden. Hatten die Fremden es etwa aufgegeben, nach ihnen zu suchen? War das Brüllen des Gottes ein Zeichen – ein Signal, das die Männer und Drachen von der Jagd zurückrief? Kemaq wagte kaum, es zu hoffen. Er hatte ein schlechtes Gefühl, als sei ihm das Verhängnis schon dicht auf den Fersen und warte nur noch auf eine günstige Gelegenheit, ihn einzuholen. Die hohe Außenmauer der Festung tauchte vor ihm auf. Wachen standen dort. Er zog den Chimú in Deckung. Sie schlichen um einige Ecken, und dann entdeckte Kemaq den Graben. Er lief, keinen Steinwurf von ihnen entfernt, schnurgerade auf die Mauer zu. Sie tasteten sich noch näher heran. Kemaq runzelte die Stirn. Hätte er nicht das Wasser strömen hören müssen? Dann lag der Kanal vor ihnen. Kemaq biss sich auf die Lippen. Er war zu einem armseligen Rinnsal verkümmert und schlängelte sich durch schlingpflanzenüberwucherten Schlamm bis zur Außenmauer. Kemaq sah die dunkle Öffnung, durch die er hinausfloss. Sie war fast völlig verlandet. Eine Eidechse kam vielleicht hindurch – ein
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