Drachentau
glatt, zum Klettern ungeeignet. Sie müsste über einen weiten Bogen oberhalb des Vorsprungs klettern und sich dann von oben herablassen.
Der Himmel färbte sich rot und drängte zur Eile. Eschagunde überlegte kurz, mit ihrem Zauberstab den Felsen anzurauen, damit sie direkt klettern könnte, verwarf den Gedanken aber gleich wieder als zu riskant. Nun gut, es half nichts. Sie wandte sich nach links und kletterte in kleinen Schritten aufwärts, immer wieder Halt suchend oder sich gerade noch halten könnend. Es dauerte lange, zu lange. Schließlich gab sie sich für den heutigen Tag geschlagen, rutschte wieder abwärts, suchte sich ein Gebüsch und setzte sich. An Schlaf war hier nicht zu denken, denn ohne einen Zauberbann wäre sie schlafend ein leichtes Opfer für die Turocks und gezwungen, ihren Zauber einzusetzen.
Dann kann ich gleich von vorne in die Höhle hineinspazieren,
dachte Eschagunde.
Also hinsetzen, die Nacht abwarten und nachdenken.
Birkalinde war die älteste der sieben königlichen Waldfeen. Sie hatten lange miteinander gesprochen. Auch sie hatte einen Drachen in ihrem Fürstenwald gehabt und noch heute war er viel zu dicht bewachsen. Die Jahre der mangelnden Pflege und der üblen Kreaturen hatten tiefe Spuren hinterlassen. Zwar hatte Birkalinde einen tüchtigen Förster, aber auch er konnte die Drachenwunden nur sehr langsam beseitigen.
Viel mehr Sorge bereitete das, was unter dem Drachen wohnte. Auch wenn sie nichts Genaues wussten, Vermutungen gab es viele.
Wenn der Drache geht,
dachte Eschagunde,
kommt der Schrecken alter Tage zurück und das wäre dann der Preis für die Befreiung Rosas und der Kinder. Wir können nicht wissen, welche Lawine wir hier lostreten. Aber wir müssen ihr helfen und es ist gar nicht gesagt, dass das Böse unter ihm unberührt bleibt, wenn wir es nicht tun. Der Schutzzauber ist nur ein erster Schritt. Was dann kommt, liegt nicht in unseren Händen. Der Drache verwundet ein ganzes Dorf und wird es immer weiter verwunden, wenn wir ihn nicht stoppen.
Einst hatte er einen noch größeren Schrecken vertrieben. Eine Hexe, deren Bosheit und Zauberkraft nicht zu überbieten waren. Sie hatte die Menschen im Mühlendorf in Bären verwandelt und mit einem schrecklichen Fluch belegt, der sie knechtete und zu Gejagten machte. Tumaros hatte aus lauter Gier und Machtbesessenheit die Hexe bekämpft, vertrieben und ihren Besitz gestohlen. Die Feen konnten den bösartigen Zauber nicht aufheben, nur den Fluch auflösen. Die Bärengestalt mussten die Menschen behalten, mit einem menschlichen Antlitz. Die Feen entschädigten sie mit einem langen Leben. Kaum ein Bär wusste noch von seiner menschlichen Herkunft.
Birkalinde hatte die Befürchtung geäußert, dass die Hexe gar nicht vertrieben war, sondern im Drachenberg gefangen. Niemand hatte sie jemals wieder gesehen oder von ihr gehört. Die Gefahr, den alten Zauber aufzustören, war groß, wenn sie sich durch diesen Berg durchgrub. Sie musste so vorsichtig wie möglich vorgehen. Die Hand an den Besitz eines Drachen legen, hieß ihn zum Kampf herauszufordern. Wenn alles gut lief, bemerkte Tumaros sie und ihren Zauber gar nicht. Aber was geschah, wenn sie entdeckt würde? Dann geriet ein ganzes Dorf in Gefahr. Sein Rachedurst würde ihn vielleicht von seiner Höhle weglocken und die Hexe, wenn sie hier verborgen war, bliebe unbewacht zurück. Was aus ihr, Eschagunde würde, daran wagte sie nicht zu denken. Ob ein Kampf in der Drachenhöhle für sie zu einem guten Ende führte, war so wahrscheinlich wie die Hoffnung, dass der Drache sich in ein liebenswürdiges Wesen verwandelte. Guter Rat war teuer. Sie würden erst im Nachhinein wissen, ob ihr Handeln richtig war.
Die Nacht brachte pechschwarze Dunkelheit, in der sich Eschagunde von raschelnden, knisternden, rülpsenden, stöhnenden und knurrenden Wesen beobachtet fühlte. Es blutete ihr das Herz, wie ihr wunderschöner Wald zu einer Mördergrube verkommen war, weil ein Ungeheuer ein anderes anzog.
Die ersten Sonnenstrahlen kamen mit einem sanften Rot. Nicht mehr lange und es war hell genug zum Weiterklettern. Zielstrebig fand sie den Weg und sah sich, als die Sonne am höchsten Punkt stand, direkt über dem Vorsprung. Hinunter waren es gut und gerne drei Meter. Eschagunde unterdrückte den Wunsch, ihren Zauberstab einzusetzen. So blieb ihr nichts anderes übrig, als eine halsbrecherische Klettertour zu wagen. In kleinen Schritten Halt für ihre Füße suchend, dann wieder für die
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