Drachentau
Vater sein. Darf man erfahren, wer das ist?«
Bernhard hielt die Luft an.
Aber Boris sprach ruhig weiter. »Sie werden ihn nicht kennen. Er kommt von weiter her.«
Der Oberförster schaute Bernhard noch einmal mit eng zusammengezogenen Augenbrauen an. Dann stand er auf, holte verschiedene Zeichnungen von Bäumen aus dem Regal und breitete sie vor Bernhard aus. »Kannst du mir sagen, wie die Bäume heißen?«
Bernhard warf einen kurzen Blick auf die Bilder und schüttelte den Kopf. »Ich dachte, dies hier ist eine Forstschule und nicht ein Forstkindergarten.«
Der Oberförster holte tief Luft. »Also, ich höre?«
Boris stieß Bernhard in die Seite.
»Meinetwegen«, sagte Bernhard, »Eiche, Eberesche, Birke, Buche und Erle.«
Die Zeichnungen wurden wieder ins Regal gepackt.
»Wir beginnen pünktlich um acht«, sagte der Oberförster und verabschiedete die beiden Bären mit einem Nicken.
»Du bist angenommen«, grinste Boris Bernhard an und dieser grinste breit zurück.
»Das war doch einfach.«
Die Forstschule lag im Nachbardorf, zwei Stunden Fußmarsch entfernt. Boris wollte Bernhard eine Unterkunft im Fürstendorf besorgen, doch Bernhard wollte auf keinen Fall die Großeltern schon wieder verlassen. Lena freute sich darüber, obgleich sie wegen des langen Weges besorgt war. Bernhard versicherte ihr, dass er gerne durch den Wald wanderte.
Die Forstschule hatte drei Klassen, die in einem Raum unterrichtet wurden. Die erste Klasse saß auf der linken Seite, die zweite in der Mitte und die dritte rechts. Bernhard setzte sich links in die letzte Reihe und blieb für sich allein. Konzentriert folgte er dem Unterricht. Vieles wusste er schon aus eigenen Beobachtungen und was neu war, merkte er sich ohne Mühe. So stieg er schon nach einem viertel Jahr in die zweite Klasse auf und nach einem weiteren in die dritte.
Die anderen Schüler beäugten den merkwürdigen Bären argwöhnisch. Nach und nach gewöhnten sie sich an ihn und ab und zu nahm er ihre Einladung an, mit ihnen zu frühstücken. Aber nach der Forstschule ging er sofort nach Hause, freute sich auf Lenas Kochkünste und verbrachte den Abend mit seinen Großeltern vor dem Kamin. Am Wochenende gingen sie in den Wald und Bernhard erklärte ihnen die Forstkunst.
Nach einem Jahr hatte Bernhard die Schule abgeschlossen und bekam mit den anderen Abgängern in einer feierlichen Zeremonie sein Diplom überreicht.
Der Oberförster schüttelte ihm anerkennend die Hand. »War kein Fehler, dich aufzunehmen, mein Junge. Der Wald, der dich zum Förster bekommt, kann sich glücklich schätzen.«
»Danke«, nahm Bernhard die Urkunde strahlend entgegen. »Aber bis jetzt hat sich noch niemand bei mir gemeldet.«
»Abwarten«, sagte der Oberförster.
Bernhard bekam kein Angebot. Die anderen Abgänger waren schon lange in Anstellung, als Bernhard noch immer im Kupferdorf wartete. Er machte sich nützlich, half Bodo beim Holzhacken und reparierte Hütten, wo immer er gebraucht wurde. Aber niemals nahm er eine Einladung zum Tee oder Honigbrot an und redete stets nur das Nötigste. Dafür sprach er um so mehr, wenn er bei Lena und Boris war.
»Ich bin beinahe froh, dass ich nichts von euch gewusst habe, als ich in der Drachenhöhle lebte. Ich hätte euch jeden Tag mit Schmerzen vermisst«, sagte Bernhard zu ihnen bei einer gemütlichen Tasse Tee. Der Winter war schon fast vergangen und der Frühling schickte seine ersten Vorboten.
»Das waren schlimme Jahre, nicht wahr?«, antwortete Boris. »Gut, dass es vorbei ist.«
»Und gut, dass auch Rosa mit deinen Geschwistern entkommen ist und einen tüchtigen Mann hat«, sagte Lena. »Ich habe gehört, sie stellt jetzt Körbe und sogar Möbel aus Weide her.«
Bernhard nickte. »Ja, das hat sie schon immer gemacht. Hätte unsere Höhle nicht mitten im Drachenberg gelegen, es wäre der schönste Ort der Welt gewesen.«
»Eine Oase in der Felsenwüste, ja? Ich kann es mir gut vorstellen. Rosa ist tüchtig. Ich vermisse sie sehr.«
»Warum gehst du sie dann nicht besuchen?«, fragte Bernhard.
Lena rührte ihren Tee. »Weil ich nicht gerne in das Dorf gehe.«
Bernhard nickte. »Wenn man weiß, was der Drache tut, hält man es in seiner Nähe nicht aus.«
»Es hat uns das Herz gebrochen, dass Rosa nicht mit uns gekommen ist«, sprach Lena weiter. »Aber sie hat den gleichen Dickkopf wie mein Vater. Sie wollte um jeden Preis bleiben.«
»Umso schöner ist es, dass du bei uns bist«, sagte Boris. »Verlier nicht den Mut.
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