Drachentau
Der Oberförster hat dich ins Herz geschlossen, auch wenn man meinen könnte, er hätte keins. Er wird nach einem Wald für dich Ausschau halten.«
Kaum hatte er das gesagt, hämmerte es energisch an der Tür. Erstaunt sahen sie sich an. Boris stand auf und öffnete. Vor ihm stand ein alter Bär in langem, grünen Lodenmantel und grauem Wollfilzhut mit breiter Krempe. Auf seiner Brust trug er ein goldenes Wappen mit drei Birkenblättern. Durch seine dicke Hornbrille sah er Boris an.
Boris legte seine Hand auf die Brust und verbeugte sich. »Fürst Heinrich von Fürstenwalde. Was verschafft mir die Ehre, dass ihr an meine Hütte klopft.«
»Der Umstand, dass hier ein verdammt guter Förster wohnen soll. Stimmt das? Dann würde ich gerne eintreten«, sagte der Fürst mit tiefer Stimme.
Boris schüttelte den Kopf. »Nein, kein verdammt Guter wohnt hier. Bei uns wohnt der Beste.« Er schritt zur Seite und forderte den Fürsten mit einer Handbewegung auf einzutreten. Lena erhob sich, wischte sich rasch die Hände an ihrer Schürze ab, verbeugte sich kurz und nahm errötend den Handkuss des Fürsten zur Begrüßung entgegen. Bernhard blieb regungslos sitzen.
Der Fürst ging auf ihn zu. »Bist du der neue Wunderförster?«
Zaghaft stand Bernhard auf und ergriff die angebotene Hand. Beherzt schüttelte Fürst Heinrich sie.
Lena brachte Tee und Gebäck und gemeinsam nahmen sie vor dem Kamin wieder Platz.
»Du hast also die Forstschule in einem Jahr absolviert und das auch noch als Jahrgangsbester? Bist du nur in der Theorie so gut oder verstehst du wirklich was vom Wald?«, fragte der Fürst unverblümt.
Bernhard richtete sich auf. »Ich verstehe wirklich was vom Wald. Testen Sie mich, wenn sie wollen.«
»Soso«, antwortete der Fürst schmunzelnd. »Ich habe gehört, du kennst dich mit Drachenschäden aus?«
Bernhard zog den Kopf ein. »Wer hat Ihnen das erzählt?«
»Das ist unwichtig. Ein Freund. Stimmt es denn?«
»Weiß nicht. Mehr mit Drachen.«
Der Fürst musterte Bernhards blaue Augen, bis er zu einem Ergebnis zu kommen schien. Bernhard versteifte sich.
»Ich komme am Besten gleich zur Sache«, sagte der Fürst. »Ich suche einen Förster für meinen Wald. Mein jetziger hört im Frühling auf, ist zu alt geworden. Vor langer Zeit gab es dort einen Drachen. Ist ewig her, aber bis heute sind die Schäden nicht vollständig beseitigt. Es gibt immer noch einige Ecken, wo sich niemand hintraut. Mir wurde geraten, dich einzustellen, damit der Wald vollständig gesund wird. Du hättest das Zeug dazu.«
Bernhard rauschte der Kopf. Wer hätte ihn empfehlen können? Er wusste von keinem Fürsprecher.
Auch Boris war erstaunt. »Hat der Oberförster Bernhard empfohlen?«
Der Fürst schüttelte den Kopf. »Der? Nein, nein. Ich sag doch, unwichtig. Also, was ist?«
Bernhard streckte sich und sah dem Fürsten fest in die Augen. »Wenn Sie Drachenschäden haben, bin ich genau der richtige Mann für Sie.«
Der Fürst klopfte sich auf die Schenkel. »Fantastisch! Also abgemacht? Im Frühjahr kommst du ins Forsthaus vom Fürstenwald.«
»Abgemacht!« Bernhard klopfte das Herz. Beide standen auf und schüttelten einander die Hände.
»Wir sehen uns«, nickte der Fürst ihm zu und dann war er genauso plötzlich verschwunden, wie er gekommen war.
Zurück blieben drei sprachlose Bären, eine verblüffte Stille, die nach einigen, langen Sekunden in ein fröhliches Lachen überging. Lena und Boris schlossen Bernhard fest in ihre Arme.
»Siehst du, mein Junge, am Ende hat sich das Warten gelohnt«, klopfte ihm Boris auf die Schulter.
»Und der Fürstenwald grenzt gleich an das Nachbardorf. Da können wir dich so oft du willst, besuchen«, sagte Lena mit nassen Augen und gab Bernhard einen dicken Kuss auf die Wange.
»Ich denke, das werde ich oft wollen«, antwortete Bernhard und hätte am liebsten die ganze Welt umarmt.
Der Frühling kam schnell und Bernhard trat seine Stelle an. Das Forsthaus war auf den ersten Blick gar nicht zu sehen. Dicht von Kiefern umringt, ragte es in den Wald hinein. Wie ein Tor öffneten sich die Bäume. Man stand auf einer Lichtung, rechts stapelte sich Kaminholz und links stand ein Regenfass, groß wie ein Bär. Die Hütte wirkte im Angesicht des üppigen Vorplatzes winzig. Aber der steil aus dem Schornstein aufsteigende Rauch versprach Gemütlichkeit. Rechts neben der Hütte war ein Gemüsegarten angelegt, der eine ganze Familie sättigen konnte.
Seine Habseligkeiten auf einem Handwagen
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