Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
Vom Netzwerk:
stieg dunkle Verzweiflung in mir auf und legte sich wie kalter Nebel auf meinen Verstand.
    Nein! Ich schüttelte den Kopf, als könnte ich dadurch den eisigen Griff der Mutlosigkeit abschütteln. Ich hatte das Buch, und sein Perlenschutz hatte sich für mich gelöst und mir erlaubt, es zu öffnen. Das musste etwas bedeuten. Es gab gewiss einen Weg, den Sinn der Schriftzeichen zu ergründen. Ich musste nur den passenden Schlüssel finden.
    Ich setzte mich mühsam auf. Neben mir auf dem Nachttisch standen Wasserkrug und Becher. Rilla hatte an alles gedacht. Sie musste das Buch und die Perlen gesehen haben, als sie mich zudeckte – ob sie dem Meister davon erzählt hatte? Ich goss mir Wasser ein und trank es auf einen Zug aus. Erst als ich mir zweimal nachgeschenkt hatte, war mein Durst gestillt. Das lange Weinen musste mich bis auf die Seele ausgetrocknet haben.
    Ich blickte mich um, als ich die Tür aufgehen hörte. Es war Rilla und sie trug ein Tablett. Rasch zog ich den Ärmel über das Buch, während sie die Tür mit der Hüfte schloss. Als sie mich im Bett sitzen sah, verbeugte sie sich und kam auf mich zu.
    »Die Leute sammeln sich bereits am Tor der Höchsten Güte. Der Festumzug beginnt bald«, sagte sie und blickte ganz kurz auf meinen Ärmel und wieder in mein Gesicht. Sie hielt mir das Tablett hin. »Du hast gerade noch Zeit für deinen Tee und einen Teller Lo-jee.«
    Der würzige Duft der Frühstückssuppe ließ meinen Magen vor Hunger knurren. Zuvor aber musste ich den Tee der Geistmacherin trinken. Ich nahm den Becher und erinnerte mich an das Sonnenpulver in meiner Tasche. Vielleicht würde es mir helfen, Verbindung zum Spiegeldrachen aufzunehmen? Aber was würde geschehen, wenn ich es mit dem Gebräu der Geistmacherin mischte? Das eine Mittel förderte die Sonnenkraft, das andere unterdrückte die Mondenergie. Würde mich ein wenig Sonnenpulver aus dem Gleichgewicht bringen? Mich womöglich töten? Vielleicht war es keine gute Idee, beides gleichzeitig einzunehmen.
    Der Tee der Geistmacherin war nur noch lauwarm und schmeckte deshalb noch fauliger als sonst. Ich schloss die Augen, kippte die scheußlich bittere Flüssigkeit hinunter und kämpfte gegen den Brechreiz an.
    »Wie geht es dem Meister heute?«, fragte ich und gab Rilla den Becher zurück.
    »Besser«, antwortete sie. »Er kleidet sich für das Fest an.« Ihr Blick zuckte wieder zu meinem Ärmel. »Du solltest dieses Bauerngewand schnellstmöglich ausziehen«, sagte sie ungerührt. »Ich werde es wieder in den Korb legen.«
    Ich sah ihr fragend in die Augen. Sie zuckte die Achseln. »Was ich sehe, behalte ich für mich.«
    »Selbst der Meister erfährt nichts davon?«
    Ihre Miene wurde streng, doch sie schüttelte den Kopf. »Schließlich bin ich jetzt deine Kammerdienerin.«
    Ich beugte mich vor. »Ich tue alles Erdenkliche für unsere Sicherheit.« Vielleicht wollte ich mit diesen Worten nicht nur Rilla, sondern auch mich beruhigen. »Bitte glaub mir das.«
    Sie nahm die Schale mit Lo-jee und reichte sie mir. »Es gibt niemanden sonst, der sich um Chart kümmert«, sagte sie leise. »Vergiss das bitte nicht.«
     
    Mein Meister, der auf dem Seidenkissen neben mir saß, richtete sich auf und blinzelte gereizt über die Köpfe unserer Träger in den dunklen Gang, der noch immer durch ein reich geschmücktes, vergoldetes Tor versperrt war. Als er sich bewegte, stieg ein säuerlicher Geruch auf und kleine Schweißperlen überzogen sein Gesicht. Seine Lippen waren rissig und er atmete mühsamer als sonst.
    Zwar staute sich die morgendliche Wärme unter dem schweren roten Baldachin unserer Sänfte, doch es war nicht heiß genug, um solche Beschwerden zu bereiten. Mochte Rilla auch betont haben, der Zustand des Meisters habe sich gebessert: Ich war davon ganz und gar nicht überzeugt.
    Ich beugte mich zur Seite, um mir die übrigen Drachenaugen in der Schlange hinter uns anzusehen, deren Sänften in denselben Gold- und Rottönen gehalten waren wie unsere. Dahinter standen lange Reihen von Fußgängern und warteten auf die Gongschläge, die den Beginn des Festumzugs ankündigten. Erst dann würde das Tor geöffnet werden. In der Sänfte gleich hinter mir saß Lord Ido. Unsere Blicke trafen sich und er nickte mir einmal langsam zu. Ich zog mich zurück und mein Puls beschleunigte sich.
    Vorsichtig schob ich die Finger in den weiten Ärmel meines Drachengewands, um zu ertasten, ob das Buch noch richtig saß. Nachdem Rilla mich angekleidet hatte,

Weitere Kostenlose Bücher