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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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dagegen wurde Leben geraubt: Eben noch war Hua geflossen, hatte es einen Willen gegeben, hatte Ranne vor uns gestanden und nun war alles dahin.
    »Wir müssen die Leiche verstecken«, sagte Ryko und wischte ein Messer im Gras ab. »Im Pavillon.«
    Seine Worte ließen mich schaudern. Wie rasch aus einem Menschen ein bloßer Körper wurde! Ranne hatte mich in der Schule drangsaliert und mich während der Zeremonie beinahe getötet. Vielleicht hätte ich mich über den Tod meines Feindes freuen sollen. Aber das vermochte ich nicht. Ein Mann war gestorben, und ein anderer Mann hatte getötet, um mich zu beschützen.
    Eben noch hatte ich nur ums Überleben gekämpft. Jetzt konnte ich mich diesem größeren Kampf nicht mehr entziehen. Ich war mittendrin.
    »Nein«, sagte ich tonlos. Ich wusste, wohin die Leiche gebracht werden musste. »Bring ihn dahin, wo der Bannkreis des Drachen beginnt, und ich zerre ihn dann hinein. So werden sie denken, es sei ein Unfall gewesen. Außerdem können sie ihn dort erst nach Idos Rückkehr bergen.«
    Ryko sah zu mir auf und legte die Faust zum Soldatengruß an die Brust. »Zu Befehl, Mylord.«
    Wir brauchten nicht lange, um Rannes Leiche in den Ring der Drachenmacht zu ziehen. Ich wich seinem leeren Blick aus und schluckte die Galle hinunter, die mir in die Kehle stieg, als ich zufällig sein Gesicht berührte. Seine Lebenswärme wich bereits der Kälte des Grabs. Nachdem ich seine schlaffen Glieder so platziert hatte, als sei er gestürzt, stand ich auf und fragte mich, ob jemand die vorgeschriebenen neun Tage um ihn trauern würde.
    »Kommt«, raunte Ryko mir vom Rand des Bannkreises zu.
    Wir liefen wieder über den Rasen zum dunklen Torbogen. Der Druck der Perlen an meinem Arm war wie eine süße Folter – ich vermochte meine Ungeduld, das Portfolio zu öffnen, kaum zu bezwingen, obwohl mir klar war, dass ich damit bis zur Abgeschiedenheit meines Schlafgemachs warten musste.
    Als wir aus dem Durchgang spähten, war der Innenhof leer: Kein Dienstmädchen stahl ein Stück Brot; keine Wächter waren mit Fackeln unterwegs; auch Dillon war nicht zu sehen. Wahrscheinlich hatte er sich versteckt – das Sonnenpulver schien eher seine Angst und seine Schwermut zu verstärken als seinen Kampfeswillen.
    Ich schlich im Schutz der Kumquatbäumchen über den Hof und die schmale Gasse hinunter. Ryko folgte mir schweigend dichtauf. Als wir aus dem Seitentor traten und es mit leisem Knarren schlossen, spürte ich einen Blick auf mir. Ich sah auf. Dillon stand auf den Zinnen über uns und hob zögernd die Hand.
    »Danke«, formte ich mit den Lippen.
    Er nickte und wandte sich ab.

 
13
     
    Als Ryko und ich schließlich den Kiesgarten erreichten, der meine Gemächer umgab, stellte ich erleichtert fest, dass nur die beiden Nachtlampen an den Ecken brannten, deren Licht das Gebäude vor bösen Geistern schützte – ein sicheres Zeichen dafür, dass niemand mein Verschwinden bemerkt und Alarm geschlagen hatte. Wir schlichen über die Steine zum fahlen Rechteck meines Schlafzimmerfensters. Der Lederband war noch immer fest an meinen Unterarm gebunden, und die Perlen waren so warm, als durchströmte sie ihr eigenes Hua.
    Bald würde ich das Wort lesen, das meine Macht freisetzen würde. Ich hatte mir immer vorgestellt, der Name eines Drachen müsse wie ein Windstoß klingen, der durch Blätter geht, oder wie plätscherndes Wasser. Aber wie ließ sich so etwas aufschreiben?
    »Soll ich bleiben, Mylord?«, fragte Ryko leise.
    Ich schüttelte den Kopf. Wir hatten während unserer hastigen Rückkehr in den Kaiserpalast nur das Notwendigste miteinander gesprochen. Die letzten Stunden hatten uns einige unliebsame Wahrheiten über uns selbst und den anderen offenbart und das war nicht leicht zu verkraften. Außerdem wollte ich allein sein, wenn ich den Namen las.
    »Danke, Ryko«, sagte ich. »Für alles.«
    Er verbeugte sich und ging. Nur das leise Knirschen eines Kiesels verriet sein behutsames Verschwinden.
    Ich stemmte mich aufs Fensterbrett und landete unbeholfen auf dem dicken Teppich in meinem Schlafgemach. Mit wenigen Schritten war ich neben der beschirmten Öllampe, die ich auf dem Nachttisch hatte brennen lassen. Ich schob den rechten Ärmel hoch, doch der Stoff blieb an den Perlen und dem Portfolio hängen. Schimpfend und mit vor Ungeduld zitternder Hand krempelte ich das Gewand hoch und endlich lag es offen da.
    Im schwachen Licht der Lampe schillerten die schwarzen Perlen grün und violett wie ein

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