Drachentochter
dem Kaiser. Neben mir versuchte mein Meister, es mir gleichzutun, obwohl es ihn am ganzen Körper schüttelte. Ich griff sein eiskaltes Handgelenk, als könnte ich ihn so davor bewahren, vornüber zu kippen. Würde ich bald auch so zittern und keuchen? Der dritte Gongschlag kündigte die Ankunft des Kaisers an. Ich hielt den Atem an, und das Gewicht meines Meisters drückte schmerzhaft gegen meine Hand, während wir auf den Befehl warteten, uns zu erheben. Warum verzögerte er sich so?
Endlich ertönte ein weiterer Gongschlag.
Ich setzte mich auf und half Tyron, meinen Meister aufzurichten. Sein Atem ging schnell, seine Augen blickten starr und trüb. Über uns, vom oberen Ende der Treppe her, ließ die zerbrechliche Gestalt des Kaisers in seinem Tragstuhl den Blick über den Hof schweifen.
»Wir müssen Hilfe holen«, flüsterte ich und wandte mich an den Eunuchen hinter mir. »Hol den Arzt des Kaisers.«
Die Augen des Eunuchen weiteten sich vor Schreck, und er verbeugte sich so tief, dass er mit der Stirn den Boden berührte. »Vergebt mir, Mylord, aber das ist nicht erlaubt. Wir dürfen uns in Anwesenheit des Kaisers nicht entfernen.«
Tyron nickte. »Das stimmt. Wir dürfen die kaiserliche Audienz nicht stören.« Er musterte mein Gesicht. »Seid Ihr auch krank?«
»Nein.«
Eine Fanfare aus der Trompetenreihe hinter uns schmetterte über den Hof und schallte von den Wänden und vom Pflaster wider. Mein Meister zuckte und stöhnte. Hufschlag hallte über den Platz – ein Donner, der die Ankunft von Großlord Sethon und seinen Offizieren ankündigte.
»Rückt enger an ihn heran«, befahl mir Tyron und rutschte seinerseits näher.
Ich stützte meinen Meister so gut es ging. Schweißflecke unter den Achseln und um den Hals hatten die rote Seide seines Gewands verdunkelt.
»Meine Brust«, flüsterte er und tastete nach seinem Kragen.
An die Stelle des vielfachen Hufschlags war das klare Getrappel eines einzelnen Pferdes getreten. Ich riskierte einen Blick. Ein gewaltiger Rappe kam auf uns zu. Sein Reiter war in das rot umsäumte Blau der kaiserlichen Paradeuniform gekleidet: Großlord Sethon. Sein Gesicht lag im Schatten eines reich geschmückten Lederhelms, doch seine Haltung zeugte von jener selbstsicheren Kraft, die bei seinem kaiserlichen Bruder nur noch als schwacher Abglanz zu erkennen war. Hinter ihm gingen drei Soldaten in einfacher blauer Uniform und trugen Fahnen. Ich sah ihre Pferde hinter der Audienzlinie, sie wurden von Helfern gehalten.
Mein Meister erstarrte, krümmte sich dann und erbrach grüne Galle aufs Pflaster. Empörtes, aber auch ängstliches Raunen erhob sich ringsum und einige rückten von uns ab.
Ich sah mich hektisch um, ohne zu wissen, was ich suchte. Mir war nur klar, dass mein Meister Hilfe brauchte. Lord Ido beobachtete uns mit unergründlicher Miene. Eine Welle tiefer Verbeugungen lief auf uns zu, als Großlord Sethon zwischen den Reihen der Würdenträger hindurchging.
Mein Meister würgte erneut. Ich stützte ihn, während er sich krümmte. Sein Körper fühlte sich durch die dünne Seide so kalt an wie ein Bach im Winter. Auf der anderen Seite machte Lord Tyron plötzlich eine Verbeugung bis zum Boden. Mein Meister sackte gegen mich. Ich blickte auf. Über mir war die massive schwarze Brustpartie des Pferdes zu sehen – und darüber der harte Blick von Großlord Sethon.
Seine Verwandtschaft mit dem Kaiser war unverkennbar; die ausdrucksstarken Konturen von Stirn und Kinn sowie die Form des Mundes waren bei beiden Männern gleich. Die Augen des Großlords standen jedoch eng zusammen über einer Nase, die nach einem Bruch platt verheilt war, und einer sichelförmiger Narbe auf der Wange. Er hatte das Gesicht eines Kriegers.
Ich warf mich vor ihm nieder. Er hatte königlichen Rang. Er konnte meinem Meister helfen. Das Pferd wich nach links aus, doch der eiserne Griff des Großlords zwang es an seinen Platz zurück.
»Hoheit«, bat ich, »vergebt meine Dreistigkeit, doch Lord Brannon ist krank. Er braucht einen Arzt.«
»Ihr müsst Lord Eon sein«, erwiderte er und musterte mich kurz. »Ihr seid kleiner, als ich dachte.« Seine Stimme war von einer kalten Tonlosigkeit, die keine Gefühle preisgab.
Er sah kurz zu Lord Ido hinüber und wandte sich dann dem Soldaten zu, der neben seinem Pferd stand. »Shen, such den Leibarzt des Kaisers und bring ihn her.« Der Mann verbeugte sich und zog sich zurück.
Ich warf mich erneut vor ihm nieder und war vor Erleichterung ein
Weitere Kostenlose Bücher