Drachentochter
gesehen?«
Ich nickte. »Was bedeutet diese Darstellung?«
Er blickte sich um und beugte sich dann zu mir. »Es ist das Symbol der Perlenkette.« Ich schüttelte den Kopf. Er öffnete den Fächer wieder, um unsere Gesichter dahinter zu verbergen.
»Die Perlenkette soll eine so mächtige Waffe sein, dass sie Kontinente bewegen kann«, sagte er leise. »Sie vereint die Energie aller zwölf Drachen zu einer verheerenden Gewalt.« Er fuhr sich mit der Zunge über die bleichen Lippen. »Aber diese Kette ist bloß eine Legende, eine Schauergeschichte für Kinder.«
»Dann gibt es sie also nicht?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich sammele seit Langem alte Texte, in denen sie erwähnt wird, aber nicht einer lässt darauf schließen, dass sie mehr wäre als eine alte Legende. Ich weiß, dass auch Ido solche Schriften sammelt. Womöglich hat er eine gefunden, die beweist, dass an der Geschichte doch etwas Wahres dran ist.«
Ein schwarzes Buch mit dem Stempel des Kreises und einem Schutz aus weißen Perlen – zweifellos hatte Lord Ido etwas gefunden, das mehr als nur eine Geschichte war. Dies durfte ich meinem Meister nicht verschweigen.
»Dillon hat auch erzählt, er habe ein schwarzes Buch mit diesem Motiv gesehen«, sagte ich vorsichtig. »Und es sei mit weißen Perlen umwickelt gewesen.«
»Ein Buch?« Mein Meister atmete vernehmlich durch die Zähne ein. »Hat er das wirklich gesagt?«
»Ich denke ja.«
Er rieb sich das Kinn. »Das gefällt mir gar nicht. Tyron und die anderen müssen schnellstmöglich benachrichtigt werden.«
»Was hat es mit dieser Perlenkette auf sich?«
Mein Meister schüttelte den Kopf. »Das weiß niemand genau. Es gibt viele widersprüchliche Überlieferungen. Eine davon besagt, alle zwölf Drachenaugen müssten zusammenkommen, um diese Waffe zu erschaffen. Laut einer anderen Legende müssen sich zwei Drachenaugen verbinden, damit sie sich bildet. Und dann gibt es noch Texte, denen zufolge nur ein Drachenauge überleben kann, dem alle Macht zufällt.«
»Von dieser Version hat Tellon uns gestern im Unterricht erzählt.«
Mein Meister seufzte geistesabwesend. »Es mag nichts zu bedeuten haben und bloß eine von Idos fixen Ideen sein. Dennoch müssen Tyron und die anderen davon erfahren, falls –«
Seine Worte gingen im tiefen Dröhnen des kaiserlichen Gongs unter. Er senkte den Fächer, wir richteten uns eilig auf und das Gespräch war beendet. Zwei Beamte standen am vergoldeten Gitter und warteten auf den nächsten Gongschlag, um uns durch das Tor der Höchsten Güte in den Zeremonienhof einziehen zu lassen.
Das riesige Eingangstor zum Palast hatte drei gewölbte Durchlässe. Der mittlere Durchlass, der Weg der Himmlischen Führung, war dem Kaiser vorbehalten und breit genug, dass acht Pferde ihn nebeneinander passieren konnten. Der rechte Durchlass, der Bogen der Starken Söhne, war für die kaiserliche Familie. Und der linke Durchlass, vor dem wir warteten, hieß offiziell Bogen des Gerechten und Gelehrten Urteils, wurde aber allgemein Gerichtstor genannt. Er war Adligen, Generälen, hohen Würdenträgern und den drei Gelehrten vorbehalten, die die jährlichen Prüfungen gewonnen hatten. Alle anderen kamen und gingen durch die beiden kleineren Seitentore, die Tore der Demut, die das in Rot und Gold gehaltene Bauwerk flankierten. Ich hatte die Tore der Demut nie durchquert, geschweige denn das Gerichtstor. Und den Zeremonienhof hatte ich auch noch nie betreten. Nun aber war ich hier und stand an der Spitze eines Festumzugs, der vor den Kaiser führte.
Der zweite Gongschlag erklang und sofort stießen die beiden Beamten die Torflügel auf. Beim dritten Gongschlag rückten wir in den Durchlass vor, wo es deutlich kühler war.
»Wie herrlich!«, flüsterte ich, als meine Augen sich an das schwächere Licht gewöhnt hatten.
Die Wände waren vergoldet und mit Drachenfiguren aus Stuck geschmückt, die sich um die Symbole der vier Schönen Künste schlangen: die Schreibfeder, den Pinsel, die Zither und das Kreuzbrett des Strategiespiels. Die Decke war in einem prächtigen Rot lackiert und mit in Gold ausgeführten Landschaftsbildern versehen, die Meere, Berge, Ebenen und eine höchst detailreiche Darstellung des Palastbezirks zeigten, in den wir uns gerade bewegten. Und über all dem befanden sich im Dachgewölbe goldene Darstellungen der acht Götter des Lernens.
Wir kamen wieder ins helle Sonnenlicht. Ich blinzelte und versuchte, mich in dem riesigen Hof zurechtzufinden. An den
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