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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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wenig benommen. »Danke, Hoheit.«
    Er saß ab und landete weich vor uns auf dem Pflaster. Jede seiner Bewegungen zeugte von Entschlossenheit und Autori tät.
    »Ich hoffe, Lord Brannon wird sich rasch erholen«, sagte er. »Es wäre ein überaus schlechtes Omen für meinen Bruder, wenn ein Drachenauge während der Feier des Zwölften Tages stürbe.« Er gab dem mittleren Soldaten die Zügel. »Halt ihn gut fest – er ist unruhig.«
    Er sah zu der kleinen Gestalt des Kaisers hinauf, die vor dem Saal auf ihn wartete. Leicht verbeugt, wie es für einen Halbbruder des Regenten vorgeschrieben war, begann er die Treppe zu ersteigen.
    Ich wandte mich wieder meinem Meister zu. Er atmete so flach, dass ich es kaum mit der Hand spürte. Seine Augen öffneten sich, und ich sah das Flackern des Todeskampfes in ihnen, ehe er sich verkrampfte und sich gegen mich krümmte. Seine Arme schlugen wild um sich, bis Lord Tyron sie niederrang. Ich konnte nichts anderes tun, als ihn zu halten, während er sich keuchend wand und ihm Speichel aus dem Mund rann. Er stöhnte und versuchte, etwas zu sagen, doch sein Gesicht schien zu einer Maske der Qual erstarrt. Er krallte nach mir, bis ich seinen Kopf in die Hände nahm und all meine Kraft aufbrachte, um sein unberechenbares Zucken zu beenden.
    »Halt ihn auf«, flüsterte er mir zu.
    »Meister, bitte –« Ich konnte nicht durch seine Schmerzen dringen. Er wurde mir entrissen und war bereits auf halbem Weg in die Geisterwelt.
    Sein Kopf fiel nach hinten, während sein Körper sich aufbäumte. Mit glasigem Blick sah er mir in die Augen. »Schwöre, dass du ihn aufhalten wirst.«
    Ich nickte und sah hilflos zu, wie er sich erneut krümmte. Sein Körper schlug dumpf aufs Pflaster und in seinem drängenden Blick brannten die letzten Funken seiner Lebenskraft. Dann war auch dieses fahle Licht verschwunden.

 
14
     
    Gift.
      Ich wusste es, der Kaiser wusste es, und den flüsternden Bemerkungen nach zu urteilen, die mich beim Verrichten der Todesrituale während der traditionellen neuntägigen Trauerzeit verfolgten, wusste es auch der ganze Hof. Lord Tyron verlangte eine Untersuchung, doch es gab keine stichhaltigen Beweise für ein Verbrechen, und so wurde der Fluch, unter dem alle Drachenaugen lebten, offiziell als Todesursache angegeben: der allmähliche und letztlich tödliche Verlust des Hua. Ich dagegen hatte keinen Zweifel daran, wer hinter all dem steckte, aber warum hatte Lord Ido mich verschont? Mir fiel nur ein Grund dafür ein: Lebend und schutzlos war ich ihm offenbar nützlicher als tot.
    Mein Meister hatte keine Angehörigen mehr, um die Grabstätte vorzubereiten, seine Leiche zu verbrennen und Flehende dafür zu bezahlen, dass sie ihn in die Welt der Geister sangen. In Ermangelung anderer Trauernder hatte ich mich um all diese Dinge zu kümmern. Lady Dela erklärte mir geduldig die für einen Lord vorgesehenen Todesrituale und wies mich sanft in meine Aufgaben ein, während Ryko Wache stand und mit seinem unerschütterlichen Schweigen einen Halt anderer Art bot.
    Die ersten zwei Tage über musste ich eine ununterbrochene Kette niedrig gestellter Höflinge und Würdenträger empfangen, die mir kleine rote Päckchen mit Trauergeld schenkten. Während ihrer ausgefeilten Beileidsbekundungen und des Tees, den wir aus Höflichkeit miteinander tranken, ging mir immer wieder eine Frage durch den Kopf: Wie sollte ich ohne meinen Meister überleben? Er hatte Lord Eon ebenso erschaffen wie ich.
    Zwischen den Beileidsbesuchen betete ich entweder vor meinem Altar oder lag auf dem großen geschnitzten Bett und starrte wie betäubt auf die unentzifferbaren Zeilen des Buches. Mein Meister war gestorben – und mit ihm meine einzige Hoffnung, die Geheimnisse des Buches zu erfahren. Ich hätte es ihm zeigen sollen. Ich hätte ihm beichten sollten, dass ich den Namen meines Drachen nicht kannte. Ich hätte ihm so vieles sagen sollen!
    Ab und an kam Rilla mit Speisen oder mit dem Tee der Geistermacherin herein und drängte mich leise, zu essen und zu trinken. Trotz des Vorkosters, den der Kaiser uns heimlich zugeteilt hatte, war ich ängstlich. Jeden Morgen musste ich meinen gesamten Mut aufbringen, um den Tee zu trinken, und immer wieder blieb mir das Essen im Halse stecken und ließ mich würgen. Das Sonnenpulver ließ ich unberührt in seinem Beutel.
    Früh am dritten Tag – dem Tag der Grabesvorbereitung – kündigte Rilla mir den Besuch von Lady Dela an.
    »Sie wartet mit einem

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