Drachentochter
von den Getreidefeldern weg in den Stausee dirigieren können«, sagte Lord Tyron.
»Das ist eine heikle Sache«, ergänzte Hollin. »Jeder Drache herrscht über eine bestimmte Himmelsrichtung – deshalb müsst Ihr seinem Drachenauge sagen, wie viel Kraft es einsetzen muss, um die Richtung des Monsuns zu ändern. Dabei müsst Ihr genau den richtigen Moment treffen.« Er bemerkte meine bestürzte Miene. »Das klingt unmöglich, ich weiß, aber die Drachenaugen sitzen so im Kreis zusammen, wie es der Kompassposition ihrer Tiere entspricht. Darum erkennt man leicht, wer mit welchem Drachen arbeitet.«
»Und da Ihr obendrein alle Drachen sehen könnt, sollte es für Euch noch leichter sein«, sagte Lord Tyron ermutigend.
»Aber woher weiß ich, wie viel Kraft erforderlich ist?«
Lord Tyron warf Hollin einen raschen Blick zu.
»Nun?«, wollte ich wissen. »Woher weiß ich das?«
Tyron rieb sich die Nase. »Das ist eine Frage der Übung«, brummte er. »Ihr müsst lernen, die verschiedenen Faktoren zu erspüren, die die Kraft Eures Drachen beeinflussen.«
»Eine Frage der Übung? Ich habe keine Zeit zum Üben.« Ich schlug mit der Handkante gegen den geschnitzten Kutschenhimmel. »Das alles ist nutzlos. Nutzlos!« Ich stieß den Fahrer in den Rücken. »Anhalten!«
Die Kutsche kam mit einem Ruck zum Stehen und die Pferde bockten im Geschirr. Ich schwang mich aus der Kutsche und schritt zu dem Graben, der die Adelsstraße vom staubigen Bauernpfad trennte. Durch meinen Zorn hindurch merkte ich schwach, dass ich kaum humpelte. Hinter der Kutsche kam das Gefolge zum Stehen, und viele reckten den Hals, um zu sehen, was geschehen war. Ich sah über die niedrigen Reisfelder in die Ferne und konnte angesichts des Durcheinanders von Angst und Wut in meinem Kopf keinen klaren Gedanken fassen. Aus dem Augenwinkel sah ich Ryko absitzen und sein Pferd auf mich zufuhren.
»Mylord.« Er machte pflichtschuldig eine rasche Verbeugung. »Darf ich Euch helfen?«
»Kannst du mir binnen eines Nachmittags das beibringen, was andere Drachenaugen im Laufe von zwölf Jahren erlernt haben?«, fragte ich ihn bitter.
»Nein, Mylord.« Sein Pferd schnaubte und nickte ihm über die Schulter.
»Dann kannst du mir nicht helfen. Lass mich allein.«
Ich wandte mich von ihm ab, doch er legte mir die Hand auf die Schulter und zog mich zu sich herum.
»Was habt Ihr da im Nacken?«
»Fass mich nicht an«, schrie ich. »Sonst lass ich dich auspeitschen.«
Das Pferd scheute und zerrte Ryko mit. Er fasste das Zaumzeug fester und beruhigte das Tier mit leisem Singsang. Ich zog mich zurück und ertastete ein Striemenmuster am Nacken.
Ryko musterte mich streng. »Wie viel nehmt Ihr, Mylord?«
»Ich könnte dich auspeitschen lassen.«
»Ja, Mylord. Wie viel Sonnenpulver nehmt Ihr am Tag?«
Ich wich seinem unerbittlichen Blick aus.
»Zwei Prisen.«
Er atmete vernehmlich durch die Zähne ein. »Erwachsene vertragen allenfalls die Hälfte. Ihr müsst damit aufhören, Mylord. Dieses Pulver wird Euch umbringen.«
»Ich brauche es nur bis morgen.«
»Mylord –« Er trat näher.
»Geh an deinen Platz zurück, Wächter Ryko.«
Er zögerte. Seine angespannte Miene spiegelte den Widerstreit von Gehorsam und Sorge.
»Zurück an deinen Platz, hab ich gesagt.« Ein brennender Hass durchfuhr mich. »Oder ich werfe dich aus meinen Diensten.«
Seine Miene wurde hart, doch er verneigte sich und führte sein Pferd weg. Ich drückte mir die Hand an die Stirn, um das furchtbare Kopfweh loszuwerden, das wie ein Dornenzweig durch mein Hirn zu rucken schien. Konnte Ryko denn nicht verstehen, dass ich das Pulver nur brauchte, bis ich den Königsmonsun umgelenkt hatte?
Ich beobachtete, wie er wieder aufsaß und sein Pferd hinter meine Kutsche lenkte, und all mein Zorn verrauchte so rasch, wie er gekommen war. Er versuchte doch nur seine Pflicht zu erfüllen und mich vor Schaden zu schützen. Ich wollte ihn zurückrufen und ihm sagen, ich würde das Sonnenpulver am nächsten Tag absetzen, aber die neugierigen Blicke des Gefolges hinderten mich daran.
Lord Tyron beugte sich aus der Kutsche. »Lord Eon, wir müssen weiterfahren, wenn wir das Dorf bis zur Dämmerung erreichen wollen.«
Ich hob die Hand, um ihm zu zeigen, dass ich ihn verstanden hatte, wandte mich aber erneut dem Reisfeld zu. Bestimmt hatte ich genug Sonnenpulver im Leib, um den Spiegeldrachen zu sehen. Vielleicht sogar genug, um endlich Verbindung mit ihm aufzunehmen.
Ich kniff die Lider
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