Drachentochter
Gemächer und stellte fest, dass keine der flackernden Wandlampen zerstört worden war. Egal wer die Räume durchsucht hatte: Er hatte ausreichend Licht haben wollen, um es gründlich zu tun. Jedes Zimmer war durchwühlt worden – Schränke standen offen, Leinenwäsche war am Boden zerstreut, Becher und Schalen waren zerbrochen, Körbe umgedreht, Matratzen aufgeschlitzt worden. Es gab auch zwei weitere Leichen, doch Ryko hielt mich davon ab, zu ihnen zu gehen, und raunte mir nur zu, er habe sie sich bereits angesehen.
Auch mein Schlafzimmer war verwüstet. Die Matratze war abgezogen und die prächtige Bettwäsche lag zerschlitzt auf dem Fußboden. Die Schubladen der Kommode hingen heraus und kostbares Porzellan lag zerschlagen in der Ecke. Ich gönnte alledem kaum einen Blick, sondern ging gleich zum Altar hinüber. Nur er war unberührt – selbst tobende Soldaten würden es nicht wagen, die Geister zu erzürnen.
Lady Dela hatte auf diese Furcht gesetzt und gewonnen: Neben den Opferschalen lag ein unbeschädigtes Exemplar ihrer Übersetzung der Sommergedichte von Lady Jila. Die Schriftrolle war mit einem Band umwickelt, an dem eine große schwarze Perle hing – die Perle, die Lady Dela stets an der Kehle getragen hatte.
Ich griff nach dem Pergament und zog das Band ab.
»Ich bin kein schneller Leser«, sagte Ryko, der mir über die Schulter sah. »Was steht da?«
»Eins der Gedichte ist mit einer Mondsichel markiert. Es trägt den Titel ›Eine Dame sitzt im Dunkeln ihres Zimmers und seufzt vor Liebe‹.«
»Sie ist im Harem, in ihrem Haus«, sagte Ryko, nahm mir das Band und die Perle aus den Händen und schob sie vorsichtig in den Beutel an seinem Gürtel.
»Wie kannst du das aus dem Titel schließen?«
»Sie hat mir gesagt, Lady Jila habe dieses Gedicht für sie geschrieben.« Er räusperte sich. »Und auch über sie.«
Ich nickte. »Also gehen wir in den Harem.«
Rykos Lachen klang hohl. »Ihr sagt das, als handele es sich um einen Besuch wie auf dem Markt. Der Harem besitzt die besten Verteidigungsanlagen des Palasts. Und dort befindet sich ein überaus kostbares Schmuckstück, das Sethon nur zu gern in die Finger bekommen würde.«
Zunächst verstand ich ihn nicht. »Meinst du den zweiten Prinzen?«, fragte ich dann.
»Sethon ist ein Traditionalist«, sagte Ryko ungerührt. »Er wird nicht wollen, dass einer der beiden Prinzen am Leben bleibt. Aber unsere Leute haben den Jungen und die Frauen möglicherweise aus dem Palast schaffen können. Und vielleicht ist Lady Dela bei ihnen.«
Ich musterte seine düstere Miene. »Du glaubst nicht daran, dass sie fliehen konnten, oder?«
Ryko sah sich im Schlafzimmer um. »Sethon hat hier keine Wachen zurückgelassen und die Palastbewohner wurden in die größeren Höfe getrieben. Ich denke, Sethon hat alle verfügbaren Männer woandershin geschickt. Wahrscheinlich versucht er, den Harem zu stürmen.«
Ich blickte mich in der verwüsteten Kammer um und die Erkenntnis, dass wir eigentlich keine Chance hatten, überwältigte mich plötzlich. »Wie sollen wir dann in den Harem gelangen?« Meine Stimme klang sehr kleinlaut.
»Durch die Gunst der Götter«, erwiderte Ryko. »Und mit viel Glück.«
Ich glaubte so fest an die Götter und das Glück wie jeder andere, aber wir brauchten mehr als das. Wir brauchten eine Armee. Und da wir kein Heer zur Verfügung hatten, brauchten wir wenigstens mehr Waffen. Und ich brauchte die Wut und die flüsternde Stimme eines alten Drachenauges. Ich drehte mich zur Schwerthalterung an der Wand um und machte mich auf den Zorn gefasst, der mich stets ergriff, wenn ich die beiden Waffen berührte. Diesmal würde ich ihren Rat nicht beiseiteschieben.
Doch die Schwerthalterung war leer.
»Sie sind weg.« Ich fuchtelte wild mit den Händen herum, als könnte ich die Waffen so wieder herbeizaubern. »Jemand hat meine Schwerter gestohlen.« Ich schaute in die Zimmerecken und hob die Wäschehaufen vom Boden auf, doch sie blieben verschwunden.
Ryko ächzte. »Das ist nicht überraschend. Einem Soldaten dürften sie viel bedeuten.«
»Du verstehst mich nicht. Sie –« Wie hätte ich ihm erklä ren können, dass die Schwerter mir sagten, wie ich zu kämpfen hatte, und dass ich ohne ihren Blutdurst und ihr Wissen nur ein Krüppel war, der einige wenige zeremonielle Sequenzen zu fechten vermochte?
»Unterwegs werden wir schon eine Waffe für Euch fin den«, sagte Ryko und ging zur Tür.
Ich zwang mich, nicht länger vor der
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