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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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aufschneiden.« Ich hielt ihm das Messer hin und wandte ihm den Rücken zu.
    »Das ist Wahnsinn«, knurrte er und zerrte so fest an den Zöpfen, dass mir Tränen in die Augen traten. Während er mit dem Messer durch das von Rilla so kunstvoll geflochtene Haar fuhr, wickelte ich die Perlen vorsichtig von meinem Unterarm und vom Buch. Sie widersetzten sich nicht, sondern bebten nur ein wenig, aber das mochte am Zittern meiner Hände liegen.
    »Lady Dela.« Sie kam zu mir und hielt dabei den verletzten Arm vor der Brust. Ich schüttete die Perlen in ihre gesunde Hand und legte das Buch oben drauf. »Findet den Namen des Spiegeldrachen heraus.«
    »Falls er da drinsteht, finde ich ihn«, versprach sie mir.
    »Ryko, nimm meine Schwerter. Sie dürfen nicht hierbleiben.«
    Ich spürte meine Zöpfe nachgeben und mir links und rechts vom Kopf rutschen.
    »Bitte, jetzt sind sie lose«, sagte er schroff.
    Ich zog einen Zopf vors Gesicht und grub die Finger hinein, um die Haare zu entwirren. Ryko umrundete mich und beobachtete meine unbeholfene Rückkehr zur Weiblichkeit. Ich begegnete seinem veränderten Blick mit erhobenem Kinn. War ich in seinen Augen jetzt noch tiefer gesunken?
    »Falls es Euch gelingt, Eure Jahre als Junge abzuschütteln, sollten wir jeder Musterung standhalten«, sagte er.
    Er sprach die Zweifel aus, die ich selbst hegte. »Ich werde bloß eines der vielen verängstigten Mädchen sein«, erwiderte ich und warf ihm ein schiefes Lächeln zu. »Das muss ich nicht spielen.«
    »Ihr habt den Mut eines Kriegers«, knurrte er.
    Ich beobachtete, wie er sich abwandte und die Kleidung vom Boden aufhob. »Nein«, sagte ich trocken, »hab ich nicht.«
    Er hörte auf, die unschätzbar wertvolle Robe zwischen zwei Ballen zu stopfen: »Habt Ihr Angst?«
    Ich nickte und errötete vor Scham.
    »Und wird diese Angst Euch aufhalten?«
    »Nein.«
    »Das ist der Mut eines Kriegers.« Er bückte sich, hob mei ne Schwerter auf und schob sie in die beiden Scheiden, die links und rechts an seiner Hüfte hingen.
    »Es ist auch der Mut eines in die Enge getriebenen Tiers«, bemerkte Lady Dela bissig, hielt das aufgeschlagene Buch ins Mondlicht und blinzelte, um die Schriftzeichen zu erkennen.
    »Schon was gefunden?«, drängte ich und war zugleich eifrig damit beschäftigt, den zweiten Zopf zu öffnen.
    Lady Dela schnalzte gereizt. »Die Schrift ist kaum zu erkennen. Ich brauche mehr Licht.« Sie runzelte die Stirn und hielt das Buch anders. »Das sind Aufzeichnungen einer Frau namens Kinra. Sie war das letzte Spiegeldrachenauge.«
    Ich ließ die Hände sinken. »Kinra?«
    Lady Dela sah mich an. »Was? Ihr kennt diesen Namen?«
    Ich schob die Finger unter mein Brustband und zog die beiden Totentafeln heraus. »Seht.« Ich hielt die Kinra-Tafel hoch. »Sie ist meine Vorfahrin.«
    Beide musterten das lackierte, aber schon recht abgewetzte Stück. Ryko schürzte die Lippen zu einem tonlosen Pfeifen.
    »Ich wusste nicht, dass die Gabe zur Drachenmagie vererbt werden kann«, stellte er fest.
    »Vielleicht ist das nur beim Spiegeldrachenauge so«, sagte Lady Dela langsam. »Beim weiblichen Drachenauge.«
    Ich strich über das steife Pergament. Auch Kinra hatte es einst berührt. Meine Ahnin. Stolz und Ehrfurcht ließen mich schweigend verharren. Ich entstammte einem Geschlecht von Drachenaugen.
    Plötzlich kam mir etwas in den Sinn. Ich erinnerte mich an den Moment, als ich in Idos Bibliothek zum ersten Mal nach dem Buch gegriffen hatte und die Perlen sich mir um den Arm geschlungen hatten. Damals hatte ich die gleiche Wut in ihnen gespürt wie in den Zeremonienschwertern. Auch die Schwerter mussten also einst Kinra gehört haben.
    »Mir ist gerade wieder eingefallen, wie –«
    Plötzlich drang ein mächtiges Gebrüll in die Gasse und übertönte das Schreien und Jammern der Frauen. Ich zuckte zusammen. Neben mir klammerte sich Lady Dela an einen Stoffballen. Ryko war mit gezückten Messern wieder zum vordersten Stapel geglitten. Der furchtbar dröhnende Jubel ging in ein rhythmisches Rufen über: Sethon, Sethon, Sethon. Es war der Lärm des Sieges. Und eine Bedrohung.
    Ryko zog sich unvermittelt zurück. Seine verzerrte Miene war ein einziger Selbstvorwurf. »Zu langsam.«
    »He, wer ist da hinten?«, fragte eine Männerstimme.

 
23
     
    Ryko packte mich am Arm und raunte: »Macht Euch bereit.«
    Ich schob die Totentafeln unter mein Brustband zurück und sandte ein rasches Stoßgebet zu Kinra. Beschütze uns!
    »Wer seid ihr?«,

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