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Drachentochter

Drachentochter

Titel: Drachentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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Lautstärke über mich herein.
    »Eon, bleib wach«, sagte mein Meister. »Der letzte Anwärter ist dran. Gleich kommt die abschließende Verbeugung.«
    Blinzelnd ließ ich den Blick durch die laute bunte Arena schweifen. Die Drachen waren verschwunden – jedenfalls konnte ich sie nicht mehr sehen. Mein Meister zog mich am Arm auf die Beine.
    »Reih dich wieder ein. Ich muss zurück.«
    Ich brauchte den ganzen letzten Kampf für die kurze Stre cke hin zu meinem Platz unter den Anwärtern, denn ich taumelte bei jedem Schritt. Die Herolde eilten schon in die Mitte der Arena, um dort ihr Achteck zu bilden, als ich endlich hinter Quon auf die Knie fiel. Der Klang ihrer Gongs ließ die aufgeregte Menge verstummen.
    »Die zwölf Anwärter haben ihr Talent und ihr Durchhaltevermögen gezeigt«, riefen die Herolde im Chor. »Schaut nun den Rattendrachen mit eigenen Augen. Schaut nun den neuen Lehrling des Drachenauges.«
    Die Menge tobte vor Begeisterung. Nur zu dieser Gelegenheit konnte ein Laie hoffen, eines der gewaltigen Wesen zu sehen: erst als Reflexion in dem Spiegel des Herrschenden Drachen, wenn er durch den Sand der Arena lief, um seine Wahl zu treffen; dann im herrlichen Moment der Vereinigung, wenn der neue Lehrling die Hände auf die Perle legte und der Drache feste Gestalt annahm.
    Ein weiterer Gongschlag ließ auch diesen Jubel verhallen.
    »Werdet Zeugen der abschließenden Verbeugung! Erlebt, wie einem dieser Jungen die Herrlichkeit und Ehre zuteil wird, sich mit dem Rattendrachen zu vereinen!«
    Der nächste Gongschlag ging in tosendem Beifall unter. Die Herolde eilten beiseite, stellten sich nebeneinander an der Mauer auf, die den Kampfplatz von den Zuschauerreihen trennte, und warteten darauf, ihre letzte Mitteilung machen und den Namen des neuen Lehrlings verkünden zu können.
    Lord Ido tauchte von der Rampe her auf. Als er zum Spiegel des Rattendrachen ging, ließen die kaiserlichen Trommler und Trompeter eine Fanfare erklingen. Der ältere Beamte, der mit meinem Meister gesprochen hatte, trat vor uns.
    »Erhebt Euch«, sagte er. »Stellt euch von eins bis zwölf in einer Linie zur abschließenden Verbeugung auf.«
    Ich stieß meine Schwerter in den Sand, um mich daran hochzuziehen. Dies war ein unverzeihlicher Verstoß gegen die Vorschriften des Protokolls, doch das war mir egal. All meine Glieder waren bleischwer und mein Herz dröhnte gegen den Takt der Musik. Aber als ich die Schwerter zum Gruß kreuzte und Quon über den Sand folgte, sorgte ein letzter Rest Aufregung doch noch dafür, dass ich mich straffte und zügige Schritte tat. Vielleicht hatte ich wirklich noch eine Chance. Wir stellten uns vor dem Spiegel des Rattendrachen in einer Linie auf, und im hellen Glas sah ich die anderen Anwärter – alle standen angstbleich, aber mit erhobenem Kopf und zurückgenommenen Schultern da und kämpften ihre Erschöpfung nieder.
    Plötzlich brach die Fanfare ab.
    Lord Ido drehte sich zum Spiegel um. Er stand breitbeinig da, als stemmte er sich gegen einen Sturm, und hob die Arme. Im Spiegel sah ich seinen Blick an uns entlanggleiten und für einen furchtbaren Moment schauten wir einander an. Seine Augen waren silbrig vom Hua und die blanke Energie beraub te seine Miene jeglichen Ausdrucks. Ich wandte mich von sei nem leeren Gesicht ab.
    »Einer ist würdig«, rief er dem Spiegel zu, und es klang wie eine seltsame Mischung aus Flehen und Befehl. »Zeig uns, wer dir dienen wird.«
    Die Zuschauer schienen sich gleichzeitig vorzubeugen und den Atem anzuhalten und alle Blicke waren auf das helle Glas gerichtet.
    Über dem geschnitzten und vergoldeten Rattendrachen schimmerte es. Langsam tauchte eine große Klaue im Spiegel auf und hellblaue Schuppen glommen über den fünf wächsern glänzenden Krallen. Der Rattendrache stieg von seinem Platz auf dem Rahmen, und sein durchsichtiger Körper war nur im Spiegelglas zu sehen – eine Reflexion, der ihr Ursprung fehl te. Zum ersten Mal sah ich eins der Geisttiere in seiner körperlichen Gestalt. Ich keuchte – und der Laut fand sein Echo in der gesamten Arena. Ein muskulöser Vorderlauf tauchte auf, dessen Schuppen an der Unterseite des breiten Brustkorbs und an den nun ebenfalls sichtbaren Schultern ins Meerblaue hinüberspielten. Als Nächstes war ein weißer Bart zu sehen, dessen dickes Haar so spitz zulief wie ein Pferdeschweif. Und flüchtig sah ich unter dem strohigen Bart seine Perle – die Quelle seiner Weisheit und Macht –, die ihm blau schimmernd

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