Drachentochter
zu ihm passte, grub scharfe Falten in sein Gesicht. Lord Ido blieb stehen und musterte die Anwesenden, bis unsere Blicke sich trafen. Ich straffte mich, und eine seltsame, wilde Energie durchfuhr mich. Etwas zog mich zu ihm. Doch als er näher kam, war in seinen bernsteinfarbenen Augen kein silbernes Schimmern zu entdecken.
»Lord Eon«, sagte er. »Seid gegrüßt.«
Ich verbeugte mich rasch, doch als ich den Kopf hob, stand er schon direkt neben mir. Ich wollte zurückweichen, wusste aber, dass dies einer Unterwerfung gleichgekommen wäre. Grimmig behauptete ich meinen Platz. Er nickte anmutig und schloss auch meinen Meister in den kurzen Gruß ein. Dillon stand mit gesenktem Blick an seinem Ellbogen.
»Wie ist es Euch in den ersten Tagen als Spiegeldrachenauge ergangen?«, fragte Lord Ido.
»Es war ereignisreich, Mylord«, erwiderte ich. »Ich hatte kaum Zeit zum Nachdenken.«
»Und es wird noch ereignisreicher werden«, sagte er. »In den nächsten Tagen muss ich eine kleine Reise unternehmen, doch wenn ich zurückkehre, werden wir mit Eurem Training beginnen.«
Ich konnte nicht anders, als einen Schritt zurückzuweichen.
»Ich soll mit Euch trainieren, Mylord?« Ich wandte mich an meinen Meister. »Aber ich dachte, Ihr würdet –«
Mein Meister schüttelte den Kopf, und seine angestrengte Miene verriet mir, wie unangenehm ihm dieses Gespräch war. »Ich bin nicht mehr mit einem Drachen verbunden, Lord Eon. Da Lord Ido seinem Lehrling die Grundlagen der Drachenkünste beibringen wird, wurde beschlossen, dass er auch Euren Einführungsunterricht übernimmt.«
»Natürlich«, sagte ich dumpf. »Danke, Lord Ido.«
Meine Hand zitterte so stark, dass ich Wein aufs Pflaster verschüttete. Wie sollte ich das Herrschende Drachenauge hinters Licht fuhren? Ich sah mich nach einer Möglichkeit um, meinen Becher abzustellen, ehe ich ihn fallen ließe.
»Ich freue mich darauf, Euch zu unterrichten, Lord Eon«, sagte er.
In seiner Stimme lag eine seltsame Zärtlichkeit, die mich um fünf Jahre in die Vergangenheit zurückversetzte und an das lächelnde Gesicht des Auspeitschers in der Saline denken ließ. Mich fröstelte. Ich kannte diesen Ton: Lord Ido war einer von denen, die bei der Angst und Qual anderer Menschen Vergnügen empfanden.
Er schob Dillon auf mich zu. »Nimm Lord Eon den Wein ab.«
Widerwillig ergriff Dillon meinen Becher und hielt den Blick dabei weiter gesenkt. Das war nicht der Freund, den ich kannte – er war immer aufmerksam gewesen und hatte es kaum erwarten können, seinem Meister zu Willen zu sein. Was hatte Lord Ido ihm angetan? Vielleicht war Dillon bloß verängstigt. Dann verneigte er sich vor uns, und ich sah eine Verfärbung auf seinem Nacken, einen dunkelroten Ausschlag. War er krank?
Lord Ido drehte sich um und klatschte in die Hände. »Gehen wir ins Ratszimmer und beginnen wir mit den Formalitäten!«
Ob zufällig oder absichtlich: Mein Meister trat zwischen uns und wir legten den kurzen Weg über den Hof schweigend zurück. Ein Diener öffnete eine lackierte Schiebetür, als wir uns dem Gebäude näherten. Wir streiften unsere Schuhe ab und folgten Lord Ido in den Saal.
Dort war es kühler und der Duft von Zitronengras, die grüne Wandbespannung aus Seide und die sauberen Strohmatten gaben dem Raum eine gewisse Leichtigkeit. Die hellen Möbel machten mich stutzig, denn in meiner Vorstellung waren mit Lord Ido weiches Dunkel und bedrohliche Schatten verbunden. Als er mich und meinen Meister an einen langen, ovalen Tisch führte, zählte ich dreizehn Stühle, von denen drei am anderen Ende standen – dem Ort der Macht, von dem der Blick zur Tür ging.
»Ihr und Heuris Brannon werdet mit mir am Kopf des Ratstisches sitzen, bis alle mit der Einsetzung des Stellvertreters verbundenen Formalitäten beendet sind«, sagte Lord Ido. »Nehmt den mittleren Stuhl.«
Ich setzte mich. Die heftig anbrandende Neugier aller Drachenaugen, die ebenfalls am Tisch Platz nahmen, ließ mich den Kopf senken. Dann wagte ich einen flüchtigen Blick in die Runde und begegnete der reservierten Miene eines Lehrlings, der hinter seinem Meister stand, und dem streitlustigen Gesicht Lord Garons, des Hundedrachenauges. Als Lord Ido sich rechts und mein Meister sich links von mir setzte, sah ich wieder auf die glänzende Tischplatte, um dem musternden Blick der zwanzig Männer vor mir zu entgehen.
Schließlich stand Lord Ido auf und sofort verstummten die wenigen, im Flüsterton geführten Gespräche.
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