Drachentränen
Außerdem… der Geruch, der Ort, der Augenblick sind interessant.
Er dreht sich wieder um und schleicht weiter an der Seite des Menschenortes entlang, weiße Mauern, ein schwaches Licht ganz oben. Er kommt an einen Metallzaun. Ganz schön eng. Aber nicht so eng wie das Abflussrohr, durch das du die Katze verfolgst und in dem du stecken bleibst, und die Katze läuft weiter, und du windest dich, trittst und mühst dich ganz lange in dem Rohr ab, denkst, du kommst nie mehr los, und dann fragst du dich, ob die Katze vielleicht durch das dunkle Rohr zu dir zurückkriecht, dir die Nase zerkratzt, während du fest hängst und dich nicht bewegen kannst. Eng, aber nicht so eng. Er schüttelt sein Hinterteil, tritt und ist durch.
Er kommt ans Ende des Ortes, geht um die Ecke und sieht das Ding-das-dich-töten-wird. Er sieht bei weitem nicht so gut wie er riecht, doch er kann den Mann erkennen, ganz jung, und er weiß, das ist das böse Ding, weil es diesen seltsamen finsteren und kalten Gestank verströmt. Bisher hat es anders ausgesehen, nie ein junger Mann, aber der Geruch ist derselbe. Das ist ganz bestimmt das Ding.
Er erstarrt.
Er hat keine Angst. Er hat keine Angst. Er ist ein Hund.
Das Junger-Mann-böses-Ding ist auf dem Weg in den Menschenort. Es trägt Futtertüten. Schokolade. Marshmallows. Kartoffelchips.
Interessant.
Selbst das böse Ding isst. Es war draußen, hat gegessen und geht jetzt rein, vielleicht ist etwas von dem Futter übrig. Ein Schwanzwedeln, ein freundliches Winseln, der Aufsitzen-und-Betteln-Trick könnte was Gutes bringen, ja ja ja ja.
Nein nein nein nein. Schlechte Idee.
Aber Schokolade.
Nein. Vergiss es. Eine von diesen schlechten Ideen, bei denen dir die Nase zerkratzt wird. Oder noch schlimmer. Tot wie die Biene in der Pfütze, die Maus in der Gosse.
Das Ding-das-dich-töten-wird geht nach drinnen, schließt die Tür. Sein unheimlicher Geruch ist jetzt nicht mehr so stark.
Auch nicht der Schokoladengeruch. Na ja.
Huuuuu.
Nur eine Eule. Wer fürchtet sich schon vor einer Eule? Ein Hund doch nicht.
Er schnuppert eine Weile hinter dem Menschenort herum, ein Stück Gras, ein Stück Erde, ein Stück von den flachen Steinen, die die Menschen auf den Boden legen. Büsche. Blumen. Geschäftige Käfer im Gras, verschiedene Sorten. Ein paar von den Dingern, auf denen Menschen sitzen… und neben einem davon ein Stück Plätzchen. Schokolade. Gut, gut, alle. Schnupper herum, da unten, hier, da, aber nichts mehr zu finden.
Eine kleine Eidechse. Zisch, rast sie über die Steine, fang sie, fang sie, fang sie, fang sie. Hier lang, da lang, hier lang, zwischen deinen Beinen, da lang, da kommt sie, wieder weg - wo ist sie jetzt? - da drüben, zisch, lass sie nicht abhauen, fang sie, fang sie, du willst sie, brauchst sie, peng, ein Metallzaun mitten aus dem Nichts.
Die Eidechse ist weg, aber der Metallzaun riecht nach frischem Menschenpipi. Interessant.
Das ist Pipi von dem Ding-das-dich-töten-will. Kein schöner Geruch. Kein schlechter Geruch. Bloß interessant. Das Ding-das-dich-töten-will sieht aus wie ein Mensch, macht Pipi wie ein Mensch, also muss es ein Mensch sein, auch wenn es merkwürdig und anders ist.
Er folgt dem Weg, den das böse Ding genommen hat, als es nach dem Pipimachen wieder in den Menschenort ging, und findet unten in der großen Tür eine kleinere Tür, mehr oder weniger seine Größe. Er schnuppert daran. Die kleinere Tür riecht nach einem anderen Hund. Schwach, sehr schwach, aber ein anderer Hund. Vor langer Zeit ist ein Hund durch diese Tür rein- und raus gegangen. Interessant. So lange her, dass er schnuppern schnuppern schnuppern schnuppern muss, um was rauszukriegen. Ein Rüde. Nicht klein, nicht zu groß. Interessant. Nervöser Hund… oder vielleicht krank. Lange her. Interessant.
Denk darüber nach.
Tür für Menschen. Tür für Hunde.
Denk.
Also ist das nicht nur ein Menschenort. Es ist ein Menschen- und Hundeort. Interessant.
Er stößt mit seiner Nase gegen die kleine, kalte Metalltür, und sie schwingt nach innen. Er steckt seinen Kopf durch und hebt die Tür nur so weit, dass er kräftig schnuppern und sich umsehen kann.
Menschenfutterort. Das Futter ist versteckt, nicht draußen, wo er es sehen kann, aber er kann es trotzdem riechen. Doch am stärksten von allem der Geruch von dem bösen Ding, so stark, dass er sogar das Futter für ihn uninteressant macht.
Der Geruch stößt ihn ab und erschreckt ihn, zieht ihn aber auch gleichzeitig an, und
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