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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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erleben würden, so schnell, dass die übrige Welt stillzustehen scheint, dann müsste jede Bewegung, die wir machen, eine unglaubliche relative Geschwindigkeit haben. Meinst du nicht?«
    »Also?«
    »Ich meine, eine viel höhere Geschwindigkeit als beispielsweise eine Kugel, die aus einem Revolver abgefeuert wird. Geschwindigkeit ist destruktiv. Wenn ich eine Kugel in die Hand nehmen und auf dich werfen würde, würde sie keinen Schaden anrichten. Aber mit ein paar tausend Metern pro Sekunde gäbe das ein ganz schönes Loch.«
    Sie nickte und starrte nachdenklich auf den in der Luft hängenden Falter. »Wenn es also nur so wäre, dass wir die Zeit sehr viel schneller erlebten, dann hätte der Stoß, den du der Motte verpasst hast, sie in ihre Bestandteile auflösen müssen.«
    »Ja. Ich denke schon. Ich hätte mir wahrscheinlich auch die Hand verletzt.« Er betrachtete seine Hand. Es war nichts daran zu sehen. »Und wenn es einfach so wäre, dass sich die Lichtwellen langsamer bewegten als sonst… dann dürften die Laternen nicht so hell sein, wie sie jetzt sind. Sie wären dunkler und… rötlich, glaube ich, fast so wie Infrarotlicht. Vielleicht. Und die Luftmoleküle wären träge…«
    »So als ob man Wasser oder Sirup einatmete?«
    Er nickte. »Ich denke ja. Ich bin mir aber nicht sicher. Heiliger Strohsack. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob Albert Einstein sich einen Reim darauf machen könnte, wenn er jetzt neben uns stünde.«
    »So wie das läuft, kann er jeden Augenblick hier auftauchen.«
    Weder aus dem Abschleppwagen noch aus dem Volvo war jemand ausgestiegen, was für Harry bedeutete, dass die Insassen genauso in der veränderten Welt gefangen waren wie die Falter. Auf dem Vordersitz des etwas weiter entfernten Volvos konnte er nur die schattenhaften Umrisse von zwei Leuten erkennen, aber den Mann hinter dem Lenkrad des Abschleppwagens, der fast unmittelbar ihnen gegenüber auf der Straße stand, sah er ganz deutlich. Weder die Schatten in dem Personenwagen noch der Lkw-Fahrer hatten sich einen Zentimeter von der Stelle gerührt, seitdem die Stille hereingebrochen war. Harry nahm an, wenn sie sich nicht auf derselben Zeitebene wie die Fahrzeuge befunden hätten, wären sie wahrscheinlich in dem Moment, wo die Räder urplötzlich aufhörten, sich zu drehen, durch die Windschutzscheibe geflogen und über den Highway geschleudert worden.
    An den Fenstern der Bar des Green House starrten die sechs Leute immer noch in derselben Haltung zu ihnen heraus, wie sie es getan hatten, als die PAUSE einsetzte. Zwei von ihnen saßen an einem Tisch am Fenster; die übrigen vier standen, jeweils zwei an jeder Seite des Tisches.
    Harry überquerte den Bürgersteig und trat zwischen die Sträucher, um die Zuschauer genauer betrachten zu können. Connie kam mit ihm. Sie standen direkt vor der Scheibe und vielleicht dreißig Zentimeter tiefer als die Leute in der Bar.
    Neben dem grauhaarigen Paar am Tisch standen eine junge Blondine und ihr etwa 50jähriger Begleiter, eines der Paare, die in der Nähe des Podiums gesessen, zu viel Krach gemacht und zu laut gelacht hatten. Jetzt waren sie so still wie die Bewohner eines Grabs. Auf der anderen Seite des Tisches standen der Geschäftsführer und ein Kellner. Alle sechs schielten durch das Fenster, wobei sie sich leicht zur Scheibe vorbeugten.
    Während Harry sie betrachtete, regte sich bei keinem ein Augenlid. Kein einziger Gesichtsmuskel zuckte. Kein Härchen rührte sich. Ihre Kleider hingen an ihnen, als ob jedes einzelne Kleidungsstück aus Marmor wäre.
    Der erstarrte Ausdruck ihrer Gesichter reichte von Amüsiertheit über Erstaunen und Neugier bis - im Falle des Geschäftsführers - zu Bestürzung. Doch sie reagierten nicht auf die unglaubliche Stille, die über die Nacht hereingebrochen war. Sie starrten vielmehr über die Köpfe von Harry und Connie hinweg zu der Stelle auf dem Bürgersteig, wo die beiden zuletzt gestanden hatten, nachdem Sammy und der Hund abgehauen waren. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern bezog sich immer noch auf das unterbrochene Stück Straßentheater.
    Connie hob eine Hand über den Kopf und wedelte damit vor dem Fenster herum, unmittelbar in Blickrichtung der Zuschauer. Die sechs reagierten in keiner Weise darauf.
    »Sie können uns nicht sehen«, sagte Connie verwundert.
    »Vielleicht sehen sie uns noch dort auf dem Bürgersteig stehen in dem Moment, wo alles stehen blieb. Sie könnten genau in diesem Sekundenbruchteil ihrer Wahrnehmung

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