Drachentränen
Dienstmarken, die er jetzt mit Sicherheit für gefälscht hielt, hatte täuschen lassen, und würde jeden Moment die richtige Polizei anrufen.
Ein vorbeifahrendes Auto drosselte das Tempo, und Fahrer und Beifahrer gafften.
»Dummes Weib!« brüllte Sammy Connie an.
Der Hund schnappte sich Harrys linkes Hosenbein und hätte ihn fast umgeworfen. Er taumelte, behielt das Gleichgewicht und schaffte es, sich von Sammy loszureißen, aber nicht von dem Hund. Der bewegte sich mit heftigen Bewegungen rückwärts und versuchte beharrlich, Harry mit sich zu ziehen. Harry hielt stand, dann verlor er fast wieder das Gleichgewicht, als der Köter ihn plötzlich losließ.
Connie versuchte immer noch, Sammy zu beruhigen, und der Penner sagte ihr immer noch, sie sei dumm, aber zumindest versuchte keiner mehr, den anderen zu schlagen.
Der Hund lief ein paar Schritte auf dem Bürgersteig in südlicher Richtung, kam rutschend unter dem Licht einer Straßenlaterne zum Stehen, sah sich um und bellte sie an. Der Wind zerzauste ihm das Fell und ließ seinen Schwanz flauschig aussehen. Er raste noch ein Stück weiter nach Süden, blieb diesmal im Dunkeln stehen und bellte wieder.
Als er sah, dass Harry von dem Hund abgelenkt wurde, regte Sammy sich noch mehr auf, dass es ihm nicht gelang, ernst genommen zu werden. Seine Stimme wurde spöttisch und sarkastisch: »Na klar, so ist das, schenkt dem verdammten Hund mehr Aufmerksamkeit als mir! Was bin ich denn auch, bloß Abschaum von der Straße, kein Grund, weshalb man einem Stück Dreck wie mir überhaupt zuhören sollte. Na los, Timmy, na los, guck mal, was Lassie hat, vielleicht hängt Daddy auf der Scheiß-South-Forty unter ‘nem umgekippten Traktor fest!«
Harry konnte nicht anders, er musste einfach lachen. Er hätte niemals so eine Bemerkung von jemandem wie Sammy erwartet und fragte sich, wer der Mann gewesen war, bevor er in diese Lage geraten war.
Der Hund winselte klagend und ließ Harrys Lachen verstummen. Er klemmte seinen buschigen Schwanz zwischen die Beine, spitzte seine Ohren, hob fragend den Kopf und drehte sich schnuppernd im Kreis.
»Irgendwas stimmt nicht«, sagte Connie und sah sich besorgt auf der Straße um.
Harry spürte das auch. Eine Veränderung lag in der Luft. Ein merkwürdiger Druck. Irgend etwas. Polizisteninstinkt. Polizisten- und Hunde’m stinkt.
Der Köter witterte einen Geruch, der ihn vor Angst aufjaulen ließ. Er wirbelte auf dem Bürgersteig herum, biss in die Luft und lief dann zu Harry zurück. Einen. Augenblick lang dachte er, der Hund würde ihn umrennen, und er würde auf dem Hintern landen, doch dann bog das Tier zur Vorderfront des Green House ab, sprang in ein Beet voller Sträucher, legte sich flach auf den Bauch und versteckte sich unter den Azaleen, so dass nur noch seine Augen und seine Schnauze zu sehen waren.
Dem Beispiel des Hundes folgend, machte Sammy kehrt und lief zu der nahe gelegenen Gasse.
Connie sagte: »Hey, nicht doch, warte«, und starrte ihm nach.
»Connie«, sagte Harry warnend, obwohl er nicht genau wusste, wovor er sie warnte, doch er spürte, dass es nicht ratsam war, sich gerade jetzt zu trennen.
Sie wandte sich zu ihm. »Was?«
Hinter ihr verschwand Sammy um die Ecke.
In diesem Augenblick blieb alles stehen.
Ein Abschleppwagen, der Richtung Süden auf dem Küsten-Highway den Berg hoch brummte, offenbar auf dem Weg zu einem liegen gebliebenen Autofahrer, blieb aus heiterem Himmel stehen, jedoch ohne dass die Bremsen quietschten. Sein dröhnender Motor verstummte von einer Sekunde zur anderen ohne jedes weitere Tuckern, Husten oder Stottern, obwohl seine Scheinwerfer immer noch an waren.
Gleichzeitig blieb etwa dreißig Meter hinter dem Abschleppwagen ein Volvo stehen und verstummte ebenfalls.
Im selben Augenblick erstarb der Wind. Er ließ nicht allmählich nach, sondern verstummte so plötzlich, als ob ein kosmischer Ventilator abgeschaltet worden wäre. Tausende von Blättern hörten auf einen Schlag auf zu rascheln.
Genau in dem Moment, als all das zum Schweigen gebracht wurde, brach auch die Musik aus der Bar ab.
Harry kam sich fast so vor, als wäre er stocktaub geworden. Er hatte noch nie eine so vollkommene Stille in einem abgeschirmten Innenraum erlebt, geschweige denn im Freien, wo das Leben einer Stadt und Myriaden von Hintergrundgeräuschen aus der Natur selbst in der relativen Stille zwischen Mitternacht und Morgengrauen eine nie endende atonale Symphonie orchestrieren. Er konnte sich
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