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Drachentränen

Drachentränen

Titel: Drachentränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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kam er her? Wo war er hingegangen, wer war er und welche Krankheit oder welcher Geburtsfehler hatte ihm diese furchtbaren Augen beschert?
    Ticktack, ticktack, im Morgengrauen bist du tot.
    Er drehte den Zündschlüssel herum und ließ den Motor an.
    Schreibarbeit wartete auf ihn, die auf wohltuende Weise langweilig war und bei der er nur Sachen ausfüllen und ankreuzen musste. Eine ordentlich getippte Akte würde den schmutzigen Fall Ordegard auf knappe Abschnitte von Worten auf sauberem, weißem Papier reduzieren, und dann würde nichts mehr davon so unerklärlich erscheinen wie im Augenblick.
    Natürlich würde er den rotäugigen Landstreicher in seinem Bericht nicht erwähnen. Das hatte mit Ordegard nichts zu tun. Außerdem wollte er weder Connie noch jemand anderem im Special Projects Anlass geben, auf seine Kosten Witze zu machen. Er war ohnehin schon häufig genug eine Zielscheibe ihrer Spaße, weil er stets mit Jackett und Krawatte zum Dienst kam, unflätige Ausdrücke verachtete in einem Beruf, in dem so etwas gang und gäbe war, immer nach Vorschrift handelte und peinlichst darauf bedacht war, dass seine Akten tipptopp geführt waren. Doch später würde er zu Hause vielleicht einen Bericht über den Landstreicher schreiben, nur für sich, um etwas Ordnung in dieses seltsame Erlebnis zu bringen und damit fertig zu werden.
    »Lyon«, sagte er und sah sich im Rückspiegel in die Augen, »du bist tatsächlich ein lächerliches Wesen.«
    Er stellte den Scheibenwischer an und die zerfließende Welt verfestigte sich.
    Der Nachmittagshimmel war so bedeckt, dass die Straßenbeleuchtung, die von einer Solarzelle gesteuert wurde, durch das Zwielicht getäuscht war. Der Asphalt glänzte feucht und schwarz. In sämtlichen Rinnsteinen schössen Bäche von schmutzigem Wasser rasch dahin.
    Er fuhr auf dem Pacific Coast Highway nach Süden, doch statt am Crown Valley Parkway nach Osten zum Special Projects abzubiegen, fuhr er weiter geradeaus. Er fuhr an Ritz Cove und an der Abzweigung zum Ritz-Carlton-Hotel vorbei bis nach Dana Point.
    Als er vor dem Haus von Enrique Estefan anhielt, war er etwas erstaunt, obwohl er im Unterbewusstsein die ganze Zeit gewusst hatte, wo er hinfuhr.
    Es war einer von diesen reizenden Bungalows, die man in den vierziger und frühen fünfziger Jahren gebaut hatte, bevor alle Welt nur noch eintönige, weiß verputzte Reihenhäuser wollte. Dekorativ geschnitzte Fensterläden, bogenförmige Simse und ein Dach mit vielfältigen Schrägen gaben ihm Charakter. Regen tropfte von den Wedeln der großen Dattelpalmen im Vorgarten.
    Als der Wolkenbruch kurz nachließ, stieg er aus dem Auto und rannte den kleinen Weg entlang, der zum Haus führte. Bis er die drei Steinstufen zur Veranda hochgestiegen war, regnete es wieder heftig. Es war völlig windstill, als ob der Regen den Wind mit seinem Gewicht erdrückt hätte.
    Schatten erwarteten ihn auf der vorderen Veranda, zwischen einer Hollywoodschaukel und weißen Holzstühlen mit grünen Segeltuchkissen, wie eine Gruppe alter Freunde. Selbst an einem sonnigen Tag pflegte die Veranda angenehm kühl zu sein, weil sie von dicht ineinander verschlungenen, Rot blühenden Bougainvilleen geschützt wurde, die ein Gitter schmückten und am Dach entlangliefen.
    Er legte seinen Daumen auf die Klingel und hörte über dem Trommeln des Regens ein sanftes Glockenspiel im Haus.
    Eine etwa fünfzehn Zentimeter lange Eidechse glitt über die Veranda auf die Stufen und in das Unwetter hinaus.
    Harry wartete geduldig. Enrique Estefan - für seine Freunde Ricky - bewegte sich in letzter Zeit nicht sehr schnell.
    Als die Haustür aufschwang, schielte Ricky durch die Fliegentür nach draußen, eindeutig nicht erfreut über die Störung. Dann grinste er und sagte: »Harry, schön dich zu sehen.« Er öffnete die Tür und trat zur Seite. » Wirklich schön dich zu sehen.«
    »Ich bin pitschnass«, sagte Harry, zog seine Schuhe aus und ließ sie auf der Veranda stehen.
    »Das ist nicht nötig«, sagte Ricky.
    Harry ging auf Strümpfen ins Haus.
    »Immer noch der rücksichtsvollste Mann, den ich je kennen gelernt habe«, sagte Ricky.
    »So bin ich halt. Die Benimmtante von der Knarren- und Handschellen-Zunft.«
    Sie gaben sich die Hand. Enrique Estefans Griff war fest, wenn auch seine Hand heiß, trocken, lederartig, mit zu wenig Fleisch gepolstert und fast vertrocknet war, nichts als Knöchel, Mittelhandknochen und Fingerglieder. Es war fast, als ob man einem Skelett die Hand

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