Drachenwacht: Roman (German Edition)
nicht einfach töten soll?«
»Ja, bin ich. Sie haben sich ergeben, nun sind sie unsere Gefangenen«, antwortete Granby. »Es gibt Kopfgelder für Gefangene«, fügte er müde hinzu.
»Ich würde sie lieber umbringen, als Geld für sie zu bekommen«, bemerkte Iskierka. »Sie haben dir etwas angetan.«
»Du selbst hast ihm etwas angetan«, unterbrach Temeraire sie wütend. »Und das, wo ich dir Granby überlassen habe.« Damit streckte er drängend die Klaue aus, um Laurence von ihrem Rücken zu heben. »Geht es dir gut?«, erkundigte er sich besorgt.
»Ja«, antwortete Laurence knapp, doch die Art und Weise, wie er es sagte, verriet, dass das Gegenteil der Fall war, er jedoch nichts dazu sagen wollte, solange alle Umstehenden ihn hören konnten. Temeraire beschnupperte ihn ausgiebig. Er glaubte nicht, dass Laurence blutete, aber es war so dunkel, dass er sich nicht sicher war, ob Laurence nicht vielleicht doch irgendwo verletzt war, ohne dass er es erkennen konnte. »Wir müssen sofort aufbrechen«, fügte Laurence hinzu. »Sie werden mit weiteren Verfolgern zurückkommen, und wir haben unsere Pflicht schon viel zu lange vernachlässigt. Man wird uns vermissen.«
»Wir sind tatsächlich vermisst worden, und Wellesley hat eine sehr unhöfliche Nachricht geschickt«, teilte ihm Temeraire mit. Er hatte seinen Kopf nach hinten gedreht, um sich unterhalten zu können, als alle aufgebrochen waren. »Außerdem war die Botschaft ziemlich unvernünftig, denn wir haben uns überlegt, dass die Armee nach London zurückgekehrt sein muss. Wie überhaupt habt ihr Granby gefunden?«
»Wir hatten Hilfe«, sagte Laurence knapp. Er betrachtete etwas sehr Kleines in seiner Hand, das im frühen Licht der Sonne golden schimmerte.
»Ist das eine Prise?«, fragte Temeraire interessiert und verdrehte den Hals, um besser sehen zu können.
»Nein«, erwiderte Laurence.
Der Flug, mit dem sie versuchten, die englische Armee einzuholen, war lang, aber immerhin ereignislos. Iskierka machte keinerlei Schwierigkeiten mehr. Zwar war sie nicht geläutert, aber doch gehorsam
Granby gegenüber und bereit, beinahe alles zu tun, um ihm eine Freude zu machen. Temeraire hatte sicherheitshalber das Arrangement beim Fliegen geändert, sodass er sie die ganze Zeit im Auge behalten konnte.
Der Ring lag wie ein Stück heißer Kohle in der kleinen Brusttasche im Innern von Laurence’ Mantel, und immer wieder fuhr er unwillkürlich mit der Hand dorthin, um ihn zu berühren. Er wurde immer schwerer und schwerer, während Woolveys Blut trocknete und das gestohlene Hemd kalt und steif werden ließ. Laurence versuchte, nicht an Edith zu denken oder daran, wie sie die Nachrichten aufnehmen würde und was für einem Schicksal sie sich gegenübersehen würde, verwitwet und allein mit einem kleinen Kind in einer besetzten Stadt.
»Er war ein tapferer Bursche, Sir«, wagte Janus zu bemerken. Der alte Seemann war auf Temeraire umgestiegen, der weniger beladen als Iskierka war, um auf seinem Rücken die restliche Reise zu bewältigen. »Wir hatten einfach Pech.«
Laurence nickte nur. Er konnte nicht zurück. Seine Pflicht lag vor ihm.
Am Nachmittag erreichten sie Wellesleys Truppen und begleiteten sie auf dem restlichen, langen Weg bis zum Lager vor Coventry. Ein bitterkalter Wind wehte Richtung Süden: ein Vorgeschmack auf das Wetter, das sie in Schottland erwarten würde. Trübsinnig marschierten die Männer auf der Straße und gerieten aus dem Tritt, als sie schließlich das schwierige Gelände erreichten, das ihrer harrte. Der Boden war steinhart gefroren und mit Schneewehen bedeckt. Immerhin rollten die Wagen jetzt leichter, und die Räder ratterten. Die schlammige Straße war zu unregelmäßigen Furchen gefroren.
»Ich verstehe nicht, warum wir hier oben bleiben müssen«, sagte Requiescat und flog eine weitere niedrige Runde. »Da unten gibt es eine nette Lichtung für uns. Von da aus könnten wir genauso gut sehen, ob uns jemand angreifen will, was nicht geschehen wird,
denn dann hätten wir sie auf den letzten hundert Meilen bereits gesehen.«
»Wir können nicht landen, ehe nicht die Infanterie ihr Lager aufgebaut hat«, sagte Temeraire, aber dann drehte er seinen Kopf und murmelte: »Laurence, warum denn eigentlich nicht?«
»Es ist weniger angenehm, da unten zu marschieren, als einfach zu fliegen«, sagte Laurence müde, »und sie werden auch unter wenig angenehmen Bedingungen die Nacht verbringen. Wir können uns nur mit ihnen
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