Drachenwächter - Die Prophezeiung
sollen. Warum sie sich lieber den Dämonen entgegenstellen sollen, als das Dorf zu verlassen.«
»Ich ...« Quints Augen blieben auf Seld geheftet. Lange Augenblicke dachte er nach, dann straffte er seine Gestalt. »Erlaubt der Rat, dass ich meine Meinung zu dem Vorschlag ändere?«
»Sicher«, erwiderte Seld.
»Mein Wohlwollen«, murmelte Quint mit bebender Stimme. Seld wollte etwas sagen, doch Quint kam ihm zuvor. »Doch nun möchte ich noch eines von dir wissen, Vorsteher.« Nach kurzem Innehalten fragte er: »Möchtest du dem Rat sagen, warum wir dich auf dem Boden gefunden haben? Leidest du an einer Krankheit?«
Seld nickte. »Ich schulde euch noch eine Erklärung«, bestätigte er. »Nun gut.«
Quint setzte sich wieder und lauschte.
»Es ist keine Krankheit, an der ich leide. Von Zeit zu Zeit geht mein Geist auf Reisen und führt mir vor Augen, was an anderen Orten geschieht ... oder zu anderen Zeiten passiert ist. Manchmal glaube ich Dinge zu sehen, die uns noch bevorstehen. Aber nicht immer stimmt die Zeit der Geistesreise mit der Zeit in unserer Welt überein.
Die ersten Geistesreisen hatte ich während meine Zeit auf den Wimor-Bergen. Meine tote Frau sprach zu mir. Anfangs glaubte ich, es wären grässliche Träume, die mich quälten, aber diese Geistesreisen übermannten mich auch, wenn ich hellwach war. Ich finde mich an einem anderen Ort wieder, und dann kehre ich wieder in meinen Körper zurück. In diesem Zustand habt ihr mich vorgefunden.
Es waren auch die Geistesreisen, die mich zurück nach Hequis geführt haben. Immer wieder sah ich die Drachen auf den Koan-Bergen, und ich fühlte, dass ich nach Hequis zurückkehren musste, obwohl ich mir geschworen hatte, es niemals zu tun.«
Niemand erwiderte etwas auf Selds Schilderung, bis Quint abermals seine Stimme erhob. »Ausflüchte, Lügen und Täuschung! Unser eigener Vorsteher sagt uns die Unwahrheit. Wie können wir einem solchen Mann vertrauen, der im Exil vom Wahnsinn gepackt worden ist?«
»Sei still!«, fuhr Flinn den Mann neben sich an. Quint verstummte. An Seld gewandt sagte Flinn: »Ich vertraue dir und der Macht deiner Geistesreisen. Mögen sie uns den rechten Weg aufzeigen.«
Die anderen Ratsmitglieder nickten und murmelten ihre Zustimmung. Quint schoss in die Höhe, wendete sich ab und wurde von der Nacht verschluckt.
Selds und Arks Blicke trafen sich, und Ark nickte zustimmend. In die Runde hinein sagte Seld: »Der Rat hat beschlossen, dass wir Hequis verlassen. Wir sollten schon morgen aufbrechen, damit die Drachen sich nicht zu weit entfernen. Verbreitet die Nachricht im Dorf.«
Das Holz knackte in der Glut. Die Ratsmitglieder verließen den Steinkreis, wobei sie sich flüsternd über den bevorstehenden Aufbruch unterhielten.
Die Hequiser hatten sich auf dem Marktplatz versammelt und auf die Entscheidung des Rats gewartet. Sie wärmten sich mit dünner, heißer Suppe, die sie aus flachen Holzschalen tranken.
Die Kunde, dass sie ihr Dorf verlassen sollten, breitete sich rasch aus, und die meisten von ihnen gingen sofort in ihre Hütten, um ihre Habe zu packen. Doch einige der Hequiser verbrachten die Nacht um die Feuerstellen am Marktplatz und stritten über den Beschluss des Rats.
Es war kalt in Selds Hütte, als er endlich nach Hause kam. Mit tauben Händen entzündete er ein Feuer und legte sich auf sein Lager. Doch schon wenige Stunden später wachte er auf, vom lauten Treiben in Hequis aus dunklen Träumen gerissen.
Kapitel 5
Klüch erwacht
Während Talut Bas, Herrscher von Derod, noch in seinen seidenen Laken schlief und die Morgenwache seiner Leibgarde am hohen Tor des Palastes die Nachtwache ablöste, wurde eine Holztür in der Palastmauer des Westflügels geöffnet, damit eine Frau hinausschlüpfen konnte.
Es war Mesala Cohm, die sich davonschlich, gebückt, sich im Schatten der hohen Giebel haltend. Noch waren nur wenige Menschen in den Gassen der Stadt unterwegs, und Mesala ging unbehelligt ihren Weg durch die Alte Stadt, das Gelehrtenviertel und überquerte schließlich die Dunkelbrücke. Auf der anderen Seite des Heke ging sie an das Ufer, die Stufen der Waschtreppe hinab. Mesala schnürte ihre Schuhe auf, stieg in das kalte Wasser, das an ihren Waden kitzelte, und setzte sich, genoss das Spiel der sanften Wellen an ihren Füßen. Dann tauchte sie ihre Arme in das Wasser, rieb sich die reinigende Nässe über das Gesicht.
Nun kam der erste Sonnenstrahl über die Stadtmauer, und sein Licht tanzte auf der
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