Drachenwächter - Die Prophezeiung
derjenige ist, durch den dieses Zeitalter anbricht.«
»Er ist dem Herrscher ergeben?«
»Ihr wisst, was eine Marionette ist?«, fragte Ardag zurück.
Seld nickte.
»Er ist der fünfte Oberste Gelehrte, den ich hier erlebe, und von allen ist er der Schwächste. Er kann kein Wissen geben, da er es selbst noch nicht gefunden hat.«
»Gibt es in der Stätte einen Lehrmeister, der mir etwas über eine bestimmte Prophezeiung erzählen kann? Einer, der nicht Talut Bas hörig ist?«
»Einen solchen gibt es sicher«, antwortete Ardag. »Doch würde er nicht lange seinen Kopf behalten, wenn Kolun Fer davon erfährt. Also wird er schweigen.«
»Und außerhalb der Gelehrtenstätte? Wer könnte etwas über eine Prophezeiung des Bematu wissen?«
Abrupt blieb Ardag Namtara stehen. »Bematu?«, zischte er.
»Was wisst Ihr darüber?«
»Kein Wort mehr! Kommt!«
Mit überraschender Geschwindigkeit hastete der alte Mann los, und Seld folgte ihm.
Ark Sibin staunte.
Quint Tamat eilte zwischen den Wagen der Hequiser umher, rief ihnen zu, dass sie sich weiter abwärts an der Küste sammeln sollten. Quints Haare wurden vom Wind zerzaust, und in seinen Augen stand ein Ausdruck der Entschlossenheit, den Ark nie zuvor bei diesem Mann gesehen hatte. Die Stimme des neuen Vorstehers hallte über die Ebene vor der Stadt.
Nun trat Quint zu Ark. »Dort hinten werden wir ab sofort lagern.« Er wies die Küste abwärts. »Wenn es zum Kampf kommt, haben wir noch einen Fluchtweg weiter die Küste hinab. Zwischen den Bäumen werden wir sicher sein. Einige unserer Leute sind verstreut zwischen den anderen Flüchtlingen. Wir sollten uns umsehen, dass wir niemanden zurücklassen.«
Ohne eine Erwiderung von Ark abzuwarten, war Quint schon wieder davongerannt.
Ardag Namtaras Kammer war schmal und stickig. Durch ein vergittertes Loch unter der Decke drang nur wenig Tageslicht herein, deshalb entzündete der Mann einige Kerzen, um den Raum weiter auszuleuchten. Ardag setzte einen Tonkrug über der Feuerstelle auf und ließ einige getrocknete Blätter in das heiße Wasser rieseln. Dann goss er die dampfende Flüssigkeit in einen schmalen Krug, den er Seld reichte.
Dieser nahm einen Schluck. »Klücher Strauchtee! Bei den Göttern, wie habe ich diesen Trunk vermisst.« Seld genoss den heißen, bitteren Geschmack.
»Nun erzählt mir, wie Ihr von der Prophezeiung des Bematu wissen könnt«, forderte Ardag ihn auf.
»Sollte ich etwa nicht von ihr wissen?«, fragte Seld zurück.
Ardag blickte ihn unverwandt an, blieb aber stumm.
Seld stellte den Krug ab. »Auf unserer Reise vom Nordostland nach Klüch bin ich einem alten Mann begegnet, der inzwischen gestorben ist. Er erzählte mir, dass die Prophezeiung des Bematu mein Schicksal vorzeichnen würde.« Seld zögerte, Ardag von seinen Geistesreisen zu berichten. Zwar glaubte er, diesem Mann vertrauen zu können, doch hatte er keine Gewissheit darüber.
»Der alte Mann war sicher ein Gelehrter, denn die Prophezeiung des Bematu gehört zu den geheimen Schriften. Sie stehen in den verschlossenen Flügeln der Bibliothek, und nur die Gelehrten dürfen sie lesen.«
»Ich muss unbedingt wissen, was in ihr steht! Habt Ihr einen Schlüssel zu dieser Bibliothek?«
»Nein«, erwiderte Ardag, doch er lächelte. »Aber ich habe Abschriften von den geheimen Prophezeiungen angefertigt, denn sie sind eine hochinteressante Lektüre.«
Ardag erhob sich und ging zu einer Kiste, die in einer Ecke des Raums stand. Mit einem Schlüssel, den er aus den Tiefen seines Gewandes fischte, schloss er die Kiste auf, öffnete sie, und nach langem Wühlen förderte er einen Stapel Pergamente hervor.
»Oft sitze ich nächtelang über den Prophezeiungen und versuche zu erfassen, was sie vorhersagen.«
»Gehört das zu euren Pflichten in der Gelehrtenstätte?«, fragte Seld lächelnd.
»Nein, das mache ich zu meinem eigenen Vergnügen. Und muss aufpassen, dass die Gelehrten es nicht bemerken.« Der alte Mann erwiderte das Lächeln.
Mit flinken Fingern blätterte der Mann durch die steifen, dicken Pergamentseiten und reichte Seld schließlich einen Bogen. Die Seiten waren dicht und absatzlos beschrieben, und Seld musste die Augen zusammenkneifen, um die einzelnen Buchstaben zu erkennen.
»Hier beginnt die Prophezeiung des Bematu«, sagte Ardag und deutete auf ein Wort mitten auf der Seite.
Laut las Seld: »›Bematu. Die Prophezeiung des fünften Meisters. Von den Alten überliefert. Im Jahr 283.
Das Land wird warten,
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