Drachenwächter - Die Prophezeiung
als diese in einer Seitenstraße verschwand, und Seld beeilte sich, ihr zu folgen.
In der Gasse waren einige Marktstände aufgebaut, an denen die Händler ihre Waren anpriesen. Die Frau trat an einen der Stände und nahm prüfend einen Apfel in die Hand.
Langsam näherte sich Seld ihr von der Seite. Seine Augen wanderten über ihre Nasenspitze, ihre Haare, ihren Mund, und seine Ohren lauschten ihrer Stimme, als sie nach dem Preis des Apfels fragte.
Es war Alema. Sie lebte.
Doch wie konnte das sein? Seld hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sie von den Hequisern auf den Koan-Bergen in eine Drachenhöhle hinabgestoßen worden war. Er hatte ihren Schrei gehört, der abrupt in der Tiefe abgebrochen war.
War dies doch nur ein Trugbild, das sein müder Geist sah?
Als Seld direkt neben der Frau stand, hob er seine rechte Hand und führte sie zur Schulter der Frau. Seine Fingerspitzen berührten sie.5
Mesala hatte gerade erfahren, wie viel die Äpfel kosten sollten und wollte den Preis herunterhandeln, als sie eine Hand auf ihrer Schulter fühlte. Sie schaute zur Seite.
Ein Mann stand neben ihr, Mesala blickte an ihm hoch. Das Gesicht des Mannes war bärtig und von den dunklen, weit aufgerissenen Augen beherrscht. Er trug einen weiten Mantel aus Lifhaut, und Mesala konnte den Griff eines Dolches sehen, der innen in dem Mantel befestigt war. Müde und verwirrt schien der Mann zu sein.
Mit ihrem rechten Unterarm stieß sie seine Hand weg. »Was willst du?«, fragte sie.
Die Augen des Mannes strichen über ihr Gesicht, und er versuchte etwas zu sagen. Er schien von Sinnen zu sein, und Mesala machte vorsichtig einen Schritt zurück.
»Du lebst?«, stammelte der Mann schließlich.
»Was willst du?«, wiederholte Mesala. Sie bemerkte, dass sie noch immer den Apfel in der Hand hielt und ließ ihn in die Auslage zurückfallen, wobei sie nicht den Blick von dem Mann abwendete.
»Ich ... ich dachte ...« Der Mann streckte beide Arme aus, doch Mesala duckte sich unter ihnen weg, rannte blindlings los, wobei sie den Korb mit dem rechten Arm an ihre Seite presste. Hinter sich hörte sie die schweren Schritte des Mannes, und als sie kurz über die Schulter blickte, sah sie noch, wie dieser ins Stolpern kam und stürzte. »Warte!«, brüllte er ihr hinterher.
Doch sie rannte weiter.
Talut Bas empfing den Obersten Gelehrten. Gelangweilt saß er auf seinem Thron und ließ sich von Bediensteten Früchte darbieten, aus denen er schließlich eine hellrote Luta wählte – eine Delikatesse aus den Südländern – und hineinbiss. Dann nickte er dem Obersten Gelehrten zu.
Dieser machte einen kurzen Schritt näher an den Thron. »Mein Herrscher ... soeben hat mich ein Seld Esan aus Hequis aufgesucht.«
Talut Bas schluckte, und seine Augen verengten sich. »Was wollte er von dir?«
»Er fragte nach der Prophezeiung des Bematu. Sie gehört zu den verbotenen Prophezeiungen und weissagt –«
»Ich kenne sie«, fiel der Herrscher ins Wort. »Was hast du ihm darüber erzählt?« Der Herrscher beugte sich ein wenig vor.
»Nichts«, antwortete der Angesprochene. Ich habe ihn aus der Gelehrtenstätte verwiesen und kam sofort hierher ... Herr.«
Talut lehnte sich wieder zurück und schlug die Beine übereinander. »Du hast richtig gehandelt und darfst gehen.«
Der Oberste Gelehrte nickte und wollte sich abwenden, doch er hielt inne. »Was werdet Ihr wegen Esan unternehmen?«
Einige Augenblicke starrte Talut den Obersten Gelehrten an. »Geh endlich«, sagte er schließlich.
Seld irrte durch die Gassen von Klüch und hielt vergebens Ausschau nach der Frau, die wie Alema ausgesehen hatte. Wen auch immer er ansprach – niemand hatte von ihr Notiz genommen, und niemand kannte die Frau, die Seld beschrieb.
Schließlich resignierte er und ging durch die Stadt zum Südtor. Gerade als er es verlassen hatte und sich zwischen den Flüchtlingen vor der Stadt wiederfand, ertönte hinter ihm ein gellendes Trompetensignal, das kurz darauf vielstimmig wurde und alle Soldaten vor und in der Stadt zu mobilisieren schien. Dieses Signal konnte nur eines bedeuten.
Die Drachen mussten sich Klüch nähern.
Kapitel 13 Land ohne D rachen
Vor der Stadt am Nordufer des Heke fuhren einige Bauern die letzte Ernte des Jahres ein. Sie arbeiteten hart, denn sie fürchteten, dass auch ihre Felder bald von Soldaten als Lagerstätte genutzt wurden. Als die Trompetensignale zu ihnen herüberschallten, blickten sie sich fragend an, dann wanderten ihre Augen zum
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