Drachenwächter - Die Prophezeiung
Er hat es nicht selbst getan, aber er hat an seinen Fäden gezogen, um ihr Leben auszulöschen. Sie hatte ihn verschmäht, und Talut wollte nicht mitansehen, dass sie einen anderen Mann wählte. Vor allem nicht, wenn es ein unbedeutender Kaufmanns gehilfe aus dem Nordostland war.
Alema und ich genossen unser Zusammensein. Wir lebten in Hequis in der Hütte, die von meinen Vorfahren errichtet worden war, wo ich als Kind mit meinen Eltern gelebt hatte.«
»Wie war es, als sie zum ersten Mal die Drachen sah?«
Seld lächelte. »Als wir in Hequis ankamen, schaute sie zu den Koan-Bergen. Sie sah einen einzelnen Drachen, der im Kreis über der Bergkette flog, und wenn man genau hinschaute, konnte man einige Drachen auf einem Plateau erkennen. Eine kurze Weile beobachtete sie die Drachen, und ich dachte, sie wäre von ihnen fasziniert, dann sagte sie zu mir: ›Ich dachte, Hequis wäre ihnen viel näher.‹ Und von da an waren die Drachen ein Teil ihres Lebens, und sie erwähnte sie nicht mehr. Ich glaube, sie hatte sich vorgestellt, dass wir mit den Drachen zusammenleben.« Seld hielt kurz inne. »Mein Lehrmeister schloss meine Ausbildung ab, und von da an war ich selbst ein Händler. In den folgenden Jahren bereisten Alema und ich das ganze Land, und immer wieder kehrten wir nach Hequis zurück.«
»Ich wünschte, ich hätte sie besser kennen gelernt. Als sie wegging, war ich ein kleines Kind, und sie kam niemals mehr zu uns zurück. Und in meinem Elternhaus wurde nur abfällig von ihr gesprochen.« Mesala ging zum Mast und trank einen Schluck Tee. Dann kam sie zu Seld zurück. »Bitte erzähl mir, wie Talut sie getötet hat.«
Seld atmete schwer aus. »Alema hat mich nicht nur auf meinen Handelsreisen begleitet, sie hat auch viele Geschäfte ausgehandelt. Sie hatte einen starken Willen und schaffte es oft, eine bessere Übereinkunft zu erreichen als ich. Sie hatte Spaß daran und war stolz darauf. Aber als die Händlergilde in Klüch davon erfuhr, wusste es auch Talut Bas. Er hatte nur darauf gewartet, sich an ihr und an mir zu rächen. Nun ordnete er an, dass Hequis mit einer Strafsteuer wegen unerlaubten Handels belegt werden sollte – doppelte Abgaben über drei Jahre. Und weil zu dieser Zeit die Drei Dörfer an Einfluss gewannen, belegte er gleich das ganze Nordostland mit dieser Strafsteuer.
Als Alema davon erfuhr, gelang ihr etwas Erstaunliches. Sie brachte die Vorsteher aller Dörfer des Nordostlandes zusammen und bewegte sie dazu, dass sie sich bei Talut gegen die Steuer aussprachen und dem Herrscher androhten, dass sich das Nordostland für unabhängig von Klüch erklärte. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Grenzkriege in den nördlichen Provinzen immer weiter um sich gegriffen, und Talut Bas hätte keine weiteren Truppen an anderer Stelle zusammenziehen können, und er wusste, dass der Einfluss der Drei Dörfer auf einmal unermesslich wäre, auch ohne Waffen. Also setzte er unverzüglich die Steuer wieder ab.«
»Was hat er dann getan – Meuchelmörder ins Nordostland geschickt?« Mesalas Blick verhärtete sich.
Seld trank einen Schluck. »Talut Bas ist viel heimtückischer. Wenn Alema eines gewaltsamen Todes gestorben wäre, hätten alle gewusst, wer die Schuld daran trug. Nein ... viele Tage und Nächte vergingen, in denen im Nordostland alles friedlich blieb. Dann verschwand nachts Vieh, ohne dass man Spuren fand, und in Hequis, Kequor und den Drei Dörfern brannten Hütten ab. Dabei kamen auch Menschen ums Leben. Und bei alledem entdeckte man jedes Mal Drachenschuppen.«
Abermals nahm Seld einen Schluck, während Mesala ihn schweigend betrachtete.
»Die Menschen im Nordostland haben die Drachen niemals gefürchtet. Wir haben sie immer als unsere Beschützer angesehen. Sicher gibt es Prophezeiungen, dass geflügelte Wesen Tod über Derod bringen werden, doch vielleicht sprechen diese Prophezeiungen auch von den Dämonen – jetzt, wo wir das Aussehen der Dämonen kennen, ist es möglich. Als jedoch immer wieder Drachenschuppen im Nordost land gefunden wurden, bekamen die Menschen im Nordostland zum ersten Mal Angst vor den Drachen. Viele verließen das Nordostland, um sich in den Südländern oder in Klüch niederzulassen.«
»Aber es waren keine Drachen, die diese Schäden anrichteten?«
Seld blickte zu Boden. »Ich kann es nicht beweisen. Aber ich weiß, dass niemand einen Drachen gesehen hat, wie er eine Hütte angriff oder Vieh stahl. Und Alema ...« Seld schüttelte den Kopf und stand auf,
Weitere Kostenlose Bücher