Drachenwächter - Die Prophezeiung
traumlos, und er erwachte nur langsam. Noch einige Zeit lag er auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, gab sich dem Gefühl des Schaukelns hin.
Als er an Deck trat, überwältigte ihn die Helligkeit des Tages. Sanfte Wellen streuten das Licht der Sonne, die an einem wolkenlosen Firmament stand. Ein stetiger Wind blähte die Segel und fuhr durch Selds Haar und Kleidung. Noch waren die Bilder der Zerstörung von Klüch vor seinem inneren Auge, doch die Luft schien seine Gedanken bald aufzuklaren.
Seld fand Kapitän Wod am Steuerrad. »Du hast die ganze Nacht hier gestanden?«
»Ich wollte es mit eigenen Augen sehen, falls die Dämonen uns angreifen. Außerdem hielt ich es für das Beste, unseren Freunden zu folgen.« Er deutete voraus. Nicht weit entfernt vor der Ambria segelte die Valant. »Sie halten genau die Richtung, in der die Drachen am Horizont verschwunden sind.«
Seld nickte. »Das ist auch unser Kurs. Behalte ihn bei.«
»Es ist seltsam«, sagte Wod. »Nun fahre ich seit über dreißig Jahren zur See, aber erst zum zweiten Mal sehe ich das offene Meer ohne jedes Festland. Das letzte Mal war ich noch ein junger Maat. Ein Sturm hatte uns erfasst und aufs Meer hinausgezogen. Die Winde waren ungünstig, und es dauerte einen Tag und eine Nacht, bis wir wieder nach Derod kamen. Während dieser Zeit befürchtete ich, das Ende der Welt zu erreichen oder von Wasserdämonen angegriffen zu werden. Ich hatte schon mit meinem Leben abgeschlossen, aber nichts geschah. Und nun segle ich selbst hinaus, immer weiter weg vom Land.« Wods Hände klammerten sich an das Steuerrad, sein Blick war starr nach vorne gerichtet. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Ich habe mir immer gewünscht, dieses Unbekannte zu erforschen. Endlich ...«
Die Hequiser bekamen von den Maaten Aufgaben zugewiesen und die wichtigsten Befehle erklärt. Sie sollten vor allem bei Kursänderungen die Segel hissen und einziehen, wofür eine Vielzahl kräftiger Arme gebraucht wurde. Seld und Wod rationierten die Vorräte, denn niemand wusste, wie lange sie segeln würden ... oder wohin. Danach legte sich Wod schlafen – einer der Maate hatte das Steuer übernommen.
Der Wind frischte auf, die Fahrt beschleunigte. Gischt spritzte vom Bug des Schiffes auf und benetzte diejenigen, die an der Reling standen. Im Laufe des Tages holte die Ambria die Valant ein und ging längsseits. An Deck des königlichen Schiffes arbeiteten Matrosen in den blauen Uniformen der Flotte von Talut Bas. Zwischen den beiden Schiffen wurden keine Signale ausgetauscht – nur Blicke. Mit Hilfe eines Sextanten bestimmte der Steuermann den Kurs, der in Richtung der Drachen zum Horizont führte. Noch immer war kein Zeichen von den Drachen am Horizont zu sehen – doch glücklicherweise auch keines von den Dämonen in der entgegengesetzten Richtung.
Seld ließ sich von Ark berichten, wie Quint Tamat mit dem größten Teil der Hequiser in die Südländer geflohen war. Er wünschte, er hätte sich selbst von ihnen verabschieden können, doch nun konnte er nur noch hoffen, dass sie sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatten und dass die Dämonen nach der Zerstörung von Klüch nicht ganz Derod vernichten und alle Menschen töten würden.
»Das waren die Dämonen, von denen die Legenden berichten?«
Mesalas Fragen holten Seld aus dunklen Gedanken. Er hatte den Abend und den Anbruch der Nacht damit verbracht, an der Spitze der Ambria zu stehen, die Hände auf die hölzerne Reling gepresst, den Horizont vor sich im Auge; hoffend, die Drachen zu erblicken, auf dass sie ihm den weiteren Weg wiesen. Dabei hatte er sich unablässig gefragt, warum die Drachen nicht den Klüchern zur Hilfe gekommen waren. Warum war Seld in den Drei Dörfern von einem Drachen gerettet worden, und all die Menschen in Klüch mussten in den Flammen der Dämonen verbrennen? War die Macht der Drachen etwa geringer, als er sein ganzes Leben geglaubt hatte?
Nun war die Sonne fast untergegangen. Noch immer segelten die Ambria und die Valant nebeneinander. Seld konnte den Kapitän des königlichen Schiffes sehen, wie er an Deck stand, die Arme hinter dem Rücken verschränkt.
Mesala lehnte sich gegen die Reling und wartete auf Selds Antwort.
»Ja, es waren die Dämonen«, sagte er.
»Sie sahen den Drachen ähnlich, aber sie waren viel dunkler. Warum ist das so?«
»Sie sind eins. Die Dämonen waren einmal Drachen.«
Mesala blickte in die Richtung, in die die Ambria segelte. Der Wind
Weitere Kostenlose Bücher