Drachenwächter - Die Prophezeiung
blies ihr dunkles Haar nach hinten, und sie legte die Stirn leicht in Falten. Schmerzhaft wurde Seld abermals bewusst, wie ähnlich sie seiner toten Frau sah.
»Ich habe nicht geglaubt, dass es die Dämonen wirklich gibt. Mein Vater würde noch leben, wenn mir bewusst gewesen wäre, in welcher Gefahr wir waren. Nicht einmal an die Existenz der Drachen habe ich wirklich geglaubt ...«
»Deine Schwester konnte es kaum erwarten, die Berge und die Drachen zu sehen.«
Als hätte sie Selds Worte nicht vernommen, redete Mesala weiter: »Und dann kommen diese Wesen nach Klüch, und die Stadt gibt es nicht mehr. Alle sind tot.« Sie schluchzte.
Seld zögerte einen Augenblick, dann nahm er sie bei den Schultern. Sie erwiderte seine Berührung, indem sie die Arme um ihn schlang. »Erzähl mir von meiner Schwester«, flüsterte sie. »Erzähl mir, wie sie wirklich war.«
Seld holte Decken und einen wärmenden Trunk. Er setzte sich mit Mesala an den Fuß des Hauptmastes. Unter sich vernahmen sie die Geräusche der schlafenden Hequiser und das Knarren des Holzes. Ein schier endloser Sternenhimmel erstreckte sich über ihnen. Die See war ruhig, und das Schiff schaukelte nur leicht hin und her.
»Wo soll ich beginnen?«, fragte Seld.
»Wie hast du meine Schwester kennen gelernt?«
Seld musste nicht lange nachdenken. »Alema sah ich zum ersten Mal, als sie Talut Bas schlug.«
Mesala blinzelte. »Was?«
Er lächelte bei dieser Erinnerung. »Talut war damals noch nicht lange der Herrscher. Gerade hatte er das Todesurteil gegen zwei Männer verkündet. Sie waren Vorsteher von Dörfern im Norden und wurden beschuldigt, einen Aufruhr angezettelt zu haben, aber man erzählte, der Aufruhr sei nur entstanden, weil die Soldaten von Talut versucht hatten, Lebensmittel zu rauben. Talut hatte die Urteilsverkündung auf dem großen Marktplatz vornehmen lassen, wobei er persönlich das Urteil sprechen wollte.«
»Talut selbst? Ich kann mich nicht erinnern, wann er sich das letzte Mal auf diese Weise dem Volk gezeigt hat.«
»Es waren andere Zeiten. Talut trat auf das steinerne Podest in der Mitte des Platzes und verkündete das Todesurteil. Da drängte sich eine junge Frau an den Wachen vorbei, sprang die drei Stufen hoch, holte mit der Faust aus und schlug Talut ins Gesicht. Ich befand mich nahe am Podest und konnte alles genau verfolgen. Talut krümmte sich, und sie trommelte auf seinen Rücken, bevor die Wachen sie packten.«
»Und sie wurde nicht sofort getötet?«
»Nein. Talut ließ sie abführen. Das Todesurteil der beiden Männer, das er verkündet hatte, wurde am nächsten Tag vollstreckt, und am darauf folgenden Tag wurde Alema wieder freigelassen.«
Mesala schüttelte den Kopf. »Meine Eltern haben mir niemals davon erzählt.«
»Alema hat mir später gesagt, dass sie selbst überrascht war, als sie freigelassen wurde. Talut muss von ihr sehr ... beeindruckt gewesen sein. Doch damit war es nicht vorbei. Er rief sie zu sich und ließ sie erklären, warum sie ihn geschlagen hatte. Und sie tat es – stundenlang erzählte sie ihm, was er in ihren Augen falsch machte. Er gab vor, ihr zuzuhören, und Alema bemerkte nicht, dass er sie für sich haben wollte. Das erkannte sie erst, als er sie zur Königin nehmen wollte.«
Mesalas Augen wurden größer. »Und sie hat also abgelehnt – natürlich. Talut muss sehr wütend gewesen sein ...« Sie schüttelte den Kopf. »Wann habt ihr euch kennen gelernt?«
»Nun ... dazu muss ich etwas über mich erzählen.« Seld nahm eine Decke und legte sie um sich, dann lehnte er sich mit dem Rücken an den Hauptmast. »Als Alema den Herrscher schlug, war ich nur zufällig in Klüch. Ich bin in Hequis geboren. Als ich noch ein kleines Kind war, sind meine Eltern umgekommen ... sie wurden auf einer Reise von einer Räuberbande getötet, und ich wurde von einer befreundeten Familie aufgezogen. Als ich ein Junge war, suchte ein fahrender Händler einen Gehilfen, und ich bot mich an, gegen den Willen meiner Pflegeeltern. Sie meinten, dass ich besser ins Heer des Herrschers eintreten sollte, weil ich stark und ausdauernd war. Doch ich wurde Kaufmannsgehilfe, und die folgenden Jahre zog ich durch alle Teile von Derod und lernte das Geschäft des Händlers.«
»Warst du auch in den nördlichen Provinzen?«
»Ich war dort, als die Grenzkriege wieder entflammten. Das Land, das Jor Herut geeint hatte, zerfiel. Wir machten ein gutes Geschäft in den nördlichen Provinzen, denn kaum ein Händler wagte
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