Drachenwege
Flecken ...«
Mit einem Ausdruck der Entschlossenheit stand sie auf, orientierte sich im Raum, indem sie mit einer Hand die Wand berührte, dann ging sie zu Kindan, der an der Tür stand. »Meister Zist stellt seine Möbel nie um, sie stehen immer am selben Platz«, meinte sie anerkennend.
»Ich weiß«, entgegnete Kindan. »Er schimpft mit mir, wenn ich mal irgendein Stück verrücke.«
»Mein Vater hat Angst, was die Leute sagen werden, wenn sie von mir erfahren«, erklärte Nuella. »Deshalb war er ja so froh, als Tarik auszog. Cristov hätte um ein Haar etwas gemerkt.«
»Aber wovor fürchtet sich dein Vater? Was kann denn schon passieren, wenn die Leute wissen, dass er eine blinde Tochter hat?«, erkundigte sich Kindan verdutzt.
Nuella machte eine finstere Miene und schüttelte ärgerlich den Kopf. »Er befürchtet, man könnte uns aus der Gemeinschaft verstoßen.«
»Euch verstoßen? Aber ihr habt doch nichts verbro-chen«, staunte Kindan, der nicht verstand, wieso Natalon überhaupt damit rechnete, bestraft zu werden. Nur auf Kapitalverbrechen stand die Höchststrafe - die Ächtung und das Exil.
»Es ist nicht wortwörtlich gemeint«, klärte sie ihn auf. »Niemand denkt daran, uns tatsächlich in die Ver-bannung zu schicken. Aber die Leute würden uns meiden. Die Mutter meines Vaters war auch blind. Und wie du weißt, kommt es auf Pern nur sehr selten vor, dass jemand sein Augenlicht verliert.«
Kindan nickte. »Ja, das ist mir bekannt.«
»Nun ja«, fuhr Nuella fort. »Ich hörte meine Eltern oft darüber sprechen. Und meistens endeten diese Diskussionen in einem Streit. Mein Vater glaubt, die Leute würden sich fragen, ob mit ihm etwas nicht stimmte, wenn seine Kinder blind sind. Sie könnten ihm ihr Vertrauen entziehen. Und es könnte Dalors Heiratschancen mindern.« Mit erstickter Stimme fügte sie hinzu: »Dass ich je einen Mann finden werde, schließt er praktisch aus.«
»Und um diese Komplikationen zu vermeiden, musst du dich verstecken?«, sinnierte Kindan. Nuella nickte.
»Auf Dauer wird das aber nicht gehen«, meinte Kindan.
»Meister Zist weiß über dich Bescheid, ich kenne dich und Zenor kennt dich ebenfalls. Es grenzt an ein Wunder, dass neulich nicht noch mehr Leute von deiner Existenz erfahren haben.«
Nuella schnaubte verächtlich durch die Nase. »Viele Menschen mit zwei gesunden Augen sehen nur das, was sie sehen wollen«, erwiderte sie. »Meistens trage ich die gleiche Kleidung wie Dalor. Einmal rauschte Milla direkt an mir vorbei, ohne etwas zu merken.«
»Man stelle sich vor, welchen Tratsch sie über dich verbreiten würde, wenn sie hinter euer Geheimnis käme«, wandte Kindan ein.
»Ihr Mund würde gar nicht mehr still stehen«, pflichtete Nuella ihm mit einem bitteren Unterton bei. »Und Onkel Tarik würde durchs ganze Camp laufen und die Neuigkeit verbreiten. Ich höre ihn förmlich, wie er sagt:
>Was ist das für ein Bergmann, der nicht mal gesunde Kinder zeugen kann?<«
Kindan dachte sorgfältig über das Gesagte nach. Er traute es Tarik zu, solche gehässigen Äußerungen von sich zu geben, und einige Campbewohner würden sich sicherlich von ihm beeinflussen lassen. Bei seinen Spießgesellen, den Kerlen, mit denen er in seiner Freizeit zusammengluckte, fände Tarik gewiss ein offenes Ohr. Und die würden schon dafür sorgen, dass die bösen Bemerkungen weitergetragen würden. Ginge dann etwas schief, käme es zu irgendeinem Unglück, konnten die Leute anfangen, die Verleumdungen zu glauben. Die schlichteren Gemüter würden den Schluss ziehen, dass ein Mann, der eine blinde Tochter gezeugt hatte, selber einen Makel aufweisen musste.
»Trotzdem wird man euer wohlgehütetes Geheimnis eines Tages aufdecken«, beharrte Kindan.
Nuella nickte. »Das erzähle ich meinem Vater, seit wir hier ankamen. Und ich möchte zu gern unter Leute gehen. Aber er hält mir entgegen, ich müsste den richti-
gen Zeitpunkt abwarten. Er hegte so hohe Hoffnungen -
vor dem schrecklichen Grubenunglück ...«
Kindans Kehle schnürte sich zusammen, als er sich erinnerte, wie das Unglück auch ihn getroffen hatte.
Normalerweise lud Meister Zist ihm so viel Arbeit auf, dass er gar nicht dazu kam, an seine Familie zu denken.
Nur des Nachts kamen die Erinnerungen zurück -in seinen Albträumen.
»Heute Abend findet ein Fest statt«, sagte Kindan.
»In eurem Haus. Ich muss mich jetzt fertigmachen, weil ich daran teilnehme.«
»Wenn ich hier bleibe, kriege ich nichts mit«, meinte Nuella
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