Drachenwege
»Natürlich
wollt ihr wissen, was sich in der Zwischenzeit ereignet hat, und was einen Besuch bei euch erforderlich macht.«
Er legte eine dramatische Pause ein. »Ich wäre gern früher gekommen, aber die Ereignisse überschlugen sich und gerieten ein bisschen außer Kontrolle. Weyrführer M'tal hatte gehofft, ich könnte die Wachwhere, die zu Benden gehören, trainieren. Und zwar auf dieselbe Art und Weise, wie ihr eure Kisk unterrichtet.«
Mit dem Kinn deutete er auf den Wachwher, der
glücklich blinzelte und mit dem Kopf nickende Bewegungen vollführte. JTantir und die anderen lachten.
Kisk reckte den Hals in die Höhe und gab bekümmerte Laute von sich, bis Kindan den Arm nach ihr aus-streckte und ihr liebevoll die Augenwülste kraulte. »Es ist schon in Ordnung, keiner lacht dich aus. Wir sind nur stolz auf deine guten Manieren.« Kisk schaute in die Runde, entschied, dass Kindan die Wahrheit sagte und zog den Kopf wieder ein. Leise brummelnde Töne zeigten an, dass sie mit sich zufrieden war.
»Kisk ist in der Tat ein gut ausgebildeter Wachwher«, stimmte J'lantir zu. Er holte tief Luft und setzte seine Schilderung fort. »Leider erhielten wir nicht die erhoffte Reaktion. Viele Wher-Führer mochten es nicht glauben, dass ihre Tiere sich mit Drachen verständigen können.
Andere wiederum hielten es für unmöglich, dass ein Drachenreiter mehr von einem Wachwher verstand als sie. Sie weigerten sich, auch nur in Betracht zu ziehen, ein Drachenreiter könnte ihnen etwas über ihre kreatürlichen Partner beibringen.«
Resigniert schüttelte er den Kopf. »Und das Ärgste war, dass die Skeptiker Recht behielten. Egal, wie sehr ich mich bemühte, und obwohl Lolanth nach Kräften half - wir schafften es einfach nicht, einen der Wachwhere zur Mitarbeit zu bewegen.«
»Aber warum nicht?«, fragte Nuella verwundert.
»Meister Zist gab dir schriftliche Anweisungen mit, und so kompliziert ist das Training doch gar nicht. Oder waren die Wachwhere, mit denen du zu tun hattest, nicht klug genug für diese Art Dressur?«
»Mir scheint, es wurde zuviel geredet und zu wenig demonstriert. Es fehlte einfach an Anschauung, die bloße Theorie reichte nicht aus, um jemanden von einem möglichen Erfolg zu überzeugen«, gab er zurück.
»M'tal und ich führten lange Gespräche über dieses Thema, und wir gelangten zu dem Schluss, dass die Wher-Führer mit eigenen Augen erleben müssten, wie eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Mensch und Wachwher aussehen kann. Wir dachten da an eine Person, die mit einem Wachwher umzugehen versteht, aber nicht selbst mit einem Drachen partnerschaftlich verbunden ist. Es sollte ein Mensch sein, der nicht dazu angetan ist, andere einzuschüchtern.«
Dabei blickte er in Nuellas Richtung.
»Nuella, J'lantir sieht dich an«, wisperte Renna ehrfürchtig.
»Natürlich tut er das«, entgegnete Nuella. »Kindan kann er ja nicht gemeint haben, denn der muss bei Kisk bleiben. Und sie kann nicht ins Dazwischen gehen und ihm nachfolgen.«
Doch dann führte Nuella alle Gründe an, die es ihr nicht erlaubten, auf J'lantirs Plan einzugehen. »Ich würde ja liebend gern helfen, aber mein Vater ...«
»Nuella, das ist deine Chance, etwas zu unternehmen«, fiel Kindan ihr ins Wort. »Ein richtig trainierter Wachwher rettet Menschenleben. Das sagt Weyrführer M'tal ebenfalls.«
Nuella nickte zustimmend, doch sie gab nicht nach.
»Mein Vater möchte nicht, dass jemand von meiner
Existenz erfährt. Er hat Angst, Dalor und Larissa könnten keine Ehepartner finden, wenn es herauskommt, dass in unserer Familie eine Augenkrankheit vererbt wird.«
Kindan beobachtete das Mädchen, seit J'lantir den
Vorschlag unterbreitet hatte. Während Nuella sprach, streckte er die Hand nach Kisk aus, um sie zu streicheln.
Er hielt inne, als er plötzlich eine Anwandlung von Angst spürte, die der Wachwher auf ihn übertrug.
Überrascht flüsterte er Nuella ins Ohr: »Du fürchtest dich ja.«
Nuella erstarrte. Sie klaubte nach Worten, um alles abzustreiten, doch sie konnte nicht sprechen. Kindan griff nach ihrer Hand.
»Nuella«, sagte er eindringlich. »Du hast dich doch noch nie vor etwas gefürchtet.«
Sie fing hemmungslos an zu weinen. »Die Leute werden reden. Sie werden mich auslachen und sie ...«
Kindan zog sie in die Arme und klopfte linkisch ihren Rücken. »Nein«, sagte er leise. »Nein, das werden sie nicht.«
»Ich bin nicht imstande, mich an einem fremden Ort zu bewegen. Ich werde stolpern,
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