Drachenwege
wobei er abwechselnd Natalon und Kindan anschaute. »Alles Weitere liegt bei dem Knaben.«
»Doch, das verstehe ich sehr wohl«, räumte Natalon ein. Dann fasste er Kindan prüfend ins Auge. »Man sagt, solche Dinge stecken den Menschen im Blut,
vererben sich möglicherweise von einer Generation zur nächsten. Jetzt bekommst du die Chance, es zu beweisen.«
Meister Zist nickte bekräftigend und legte die Hand auf Kindans Schulter. Dann traten die beiden den Rückweg zur Siedlung an.
»Was soll einem im Blut stecken?«, fragte Kindan.
»Das wirst du noch früh genug erfahren«, wich der
Harfner aus. »Hoffentlich stimmt das auch, denn für Natalon steht eine Menge auf dem Spiel. Er tauscht Kohlenvorräte für einen Winter gegen etwas anderes ein. Und du bist der Schlüssel zum Ganzen. Auf dich kommt es an, ob das Unterfangen, das wir in die Wege leiten, von Erfolg gekrönt sein wird.«
Ehe der verwirrte Junge etwas sagen konnte, rief
Natalon ihnen hinterher: »Meister Zist, da wäre noch etwas!«
Der Harfner blieb stehen und drehte sich um.
»Entzünde ein Signalfeuer und hisse die Flagge. Wir fordern einen Drachenreiter an!«, rief Natalon.
Meister Zist gab mit den Händen ein Zeichen, dass er verstanden hatte.
Vor Staunen riss Kindan Mund und Augen auf. »Wir
benötigen einen Drachenreiter?«
»Du hast noch nie einen Drachen aus der Nähe gesehen, nicht wahr?«, fragte Zist und lächelte breit. »Bald ist es so weit. Wir müssen uns von einem Drachenreiter an einen bestimmten Ort transportieren lassen. Aleesas Festung liegt weit entfernt, und die Zeit drängt.«
»Wir werden auf einem Drachen reiten!«, staunte
Kindan überwältigt. »Was glaubst du, schickt man uns einen bronzefarbenen, einen blauen oder ...?«
»Das kann uns völlig egal sein. Vor allen Dingen dir, mein Junge. Wir sind dankbar für jede Hilfe, ganz gleich, wie sie sich gestalten sollte.« Sie hatten die Lichtung am Fuß des Hügels erreicht, und Meister Zist blickte noch einmal zum Grubeneingang zurück. »Ich hoffe nur, dass Natalon genauso geschickt im Handeln ist wie im Erschließen einer Grube.«
*
Als Kindan und der Harfner sich am Abend zum
Essen an den Tisch setzten, stellte der Junge endlich die Fragen, die ihm bereits den ganzen Tag lang auf der Seele brannten. »Ich wüsste gern, was das eigentlich zu bedeuten hat, Meister Zist. Du sagtest, der Erfolg des Unternehmens, zu dessen Durchführung wir einen Drachenreiter benötigen, hinge von mir ab. Worum geht es? Und wer ist diese Aleesa, die offensichtlich einem wichtigen Tauschhandel zugestimmt hat.«
Meister Zists Augen funkelten vergnügt unter den
buschigen weißen Brauen, und seine Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln. »Wie ich sehe, hast du gelernt, deine Ungeduld zu zügeln. Mit deinen Fragen hast du ziemlich lange hinter dem Berg gehalten.«
»Du hast mir beigebracht, dass man zuerst zuhören
muss, ehe man spricht. Es gibt eine Zeit zum Schweigen, und eine Zeit zum Reden«, konterte der Junge geschickt.
Der Harfner setzte eine sachliche Miene auf. »Also gut, ich werde deine Neugier befriedigen. Wie du weißt, braucht das Camp dringend einen neuen Wachwher.
Nachdem jener Lehrling, der mit einem Wachwher verbunden ist, uns seine Dienste verweigerte, dachte sich Natalon, dass wir so rasch keinen anderen Wher-Führer finden würden.«
»Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Aleesa eine
Gildemeisterin ist«, warf Kindan ein. »Führt sie vielleicht die Zunft der Wher-Führer an?« Er überlegte, ob es einen solchen Zusammenschluss überhaupt gab, denn weder von seinem Vater noch von einem seiner Brüder hatte er je von einer Gilde der Wher-Führer gehört.
»Eine richtige Zunftmeisterin ist sie nicht«, erläuterte der Harfner. Es gibt ja auch keinen Meister für Feuerechsen oder für Drachen.« Kindan hob die Augenbrauen und mimte unbewusst den fragenden Gesichtsausdruck des Harfners nach. »Meisterin Aleesa ist mit einer Wachwher-Königin verbunden. Den Titel trägt sie nur ehrenhalber. Und Natalon hat sie dazu überredet, ein Wachwher-Ei gegen Kohle einzutauschen.«
Solche Dinge stecken den Menschen im Blut...
Plötzlich begriff Kindan, was Natalon mit dieser
Bemerkung gemeint hatte.
»Ihr wollt also, dass ich einen Wachwher groß-
ziehe?«, flüsterte er erschrocken. Er musste sich
beherrschen, um nicht mit der Entgegnung
herauszuplatzen: »Ich möchte doch viel lieber ein
Harfner sein!«
Meister Zist sah ihn über den Tisch hinweg mit
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