Drachenwege
über den Umgang mit einem Wachwher wissen muss«, sagte der Harfner.
Doch Kindan schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht«, bekannte er. »Mein Vater pflegte zu sagen, ich käme nie in die Situation, mich um einen Wachwher kümmern zu müssen. Und als er noch lebte, war ich wohl zu jung, um richtig in der Führung eines Wachwhers unterwiesen zu werden. Meine Brüder hielten mir dauernd vor, ich sei für alles zu klein.«
Meister Zist schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, deutete er ein Lächeln an. »Nun, du bist ein aufgeweckter Bursche, und der neuen Aufgabe mit Sicherheit gewachsen.«
»Ich werde meine Heimatburg - äh ... ich meine
natürlich das Camp ... nicht enttäuschen«, beteuerte er trotz seiner geheimen Befürchtungen.
Der Harfner zog die Bettdecke höher und hüllte den Jungen darin ein. »Von deinen guten Absichten bin ich fest überzeugt«, erklärte er dann. Doch Kindan kannte den Meister so gut, dass ihm dessen sorgenvoller Ausdruck nicht entging.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte er bangen Herzens.
Überrascht hob der Harfner eine Augenbraue. »Mir
scheint, du durchschaust mich schon ein bisschen zu gut, Kindan.« Er atmete ein und blies die Luft mit einem Seufzer wieder aus. »Es gibt da ein kleines Problem, das mich beschäftigt«, gab er zu.
Kindan sah ihn forschend an.
»Bei der ganzen Sache ist mir nicht recht wohl«, fuhr der Harfner leise fort. Dann erwiderte er Kindans Blick.
»Du weißt ja, dass du nicht mehr mein Lehrling sein kannst, wenn du mit dem Wachwher verbunden bist, nicht wahr?«
Kindan nickte in feierlichem Ernst. Diese Vorstellung machte ihm schon seit Tagen zu schaffen. Er fühlte sich hin und her gerissen zwischen seiner Pflicht den Bergleuten gegenüber - vor allen Dingen lagen ihm Natalon und Zenor am Herzen - und seinem persönlichen Wunsch, Harfner zu werden. Immer noch klammerte er sich an den Traum, er könnte vielleicht beides miteinander verbinden, obwohl sein Verstand ihm sagte, dass dies nicht möglich sei.
»Nun ja ...«, sprach Meister Zist weiter. »Morgen
treffen wir endlich mit Meisterin Aleesa zusammen.«
»Was, morgen schon!« Vor Überraschung setzte sich
Kindan kerzengerade hin. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass sich ein Drachenreiter angekündigt hat.«
Meister Zist vollführte beschwichtigende Gesten mit den Händen. »Man braucht nicht immer alles zu wissen.
Verlasse dich darauf, morgen werden wir von einem
Drachen abgeholt. Und frage mich bitte nicht, woher ich meine Gewissheit nehme. Es ist ein Geheimnis. Ein Zunftgeheimnis.«
Kindan nickte.
»Dir darf ich es jedoch verraten, denn du hast mehr als einmal bewiesen, dass du schweigen kannst«, fuhr der Meister fort. »Und in diesem speziellen Fall ist es umso wichtiger, dass du niemandem etwas verrätst.«
Meister Zist legte eine Pause ein, um die dramatische Wirkung zu erhöhen, wenn er den Jungen in das Geheimnis einweihte. »Vor langer Zeit, als ich selbst noch im Rang eines Gesellen stand, wurde ich in den Benden Weyr versetzt.« Bei der Erwähnung dieses berühmten Drachenhorstes riss Kindan vor Staunen die Augen auf.
»Während meines Aufenthaltes dort schloss ich viele Freundschaften. Ich wurde auch als Heiler eingesetzt, obwohl ich mit meinen medizinischen Künsten wahrlich nicht glänzte, aber dafür lernte ich eine Menge über Behandlungsmethoden und Arzneien.«
Freimütig fügte er hinzu: »Doch als man in Benden
merkte, dass aus mir nie ein wirklich tüchtiger Heiler würde, setzte man mich als Schreiber und Kopisten ein.«
Er schmunzelte, als die Erinnerungen auf ihn ein—
drangen. »Ich befand mich noch keine Siebenspanne im Weyr, als ein Gelege ausreifte und die Jungdrachen schlüpften.«
Bei der bloßen Vorstellung schnappte Kindan nach
Luft. Meister Zist lächelte zufrieden, und seiner glücklichen Miene entnahm der Junge, dass das Schlüpfen der Drachen auch für den Harfner ein besonders Erlebnis gewesen sein musste.
»Die Brutstätte enthielt fünfundzwanzig Eier«, fuhr Zist fort. »Und das letzte Ei brauchte sehr viel Zeit, um zu platzen. Es war sehr groß, und vielleicht dauerte es deshalb so lange. Die Drachenreiter vermuteten, ein Bronzedrache würde daraus schlüpfen, und das bereitete ihnen Sorgen. Die restlichen Kandidaten für die Gegenüberstellung umringten das Ei, und ich saß recht weit oben auf der Zuschauertribüne, deshalb konnte ich nicht alles sehen. Doch dann war es so weit. Der Drache schlüpfte, es war in der Tat ein
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