Drachenwege
gedacht hatte, und es fühlte sich warm an, doch der Sand, der in einer dicken Schicht auf dem Boden der Brutstätte lag, war gleichfalls warm. Die Schale schien ziemlich hart zu sein, so dass er seinen Griff festigte, ohne befürchten zu müssen, den fast ausgereiften Em-bryo darin zu verletzen. Beladen mit seiner unhandlichen Last tapste er unbeholfen ein paar Schritte zurück.
Zum Abschied trällerte er die Tonfolge, die Dankbarkeit ausdrückte.
»Ist etwas passiert?«, rief jemand von draußen.
»Nein, es ist alles in Ordnung«, jubelte Kindan und kroch durch den Felsspalt ins Freie. Das letzte Stück war er auf den Knien gerutscht, und nun packten ihn kräftige Arme und richteten ihn auf.
»Los geht's, jetzt bist du an der Reihe, Losfir«, verkündete Aleesa munter und bedeutete einem gedrun—
genen, stämmigen Mann, sich durch den Felsspalt zu zwängen. Die Wachwhermeisterin schmunzelte, als sie Kindan ins Auge fasste, und ihre Miene drückte eine Mischung aus Anerkennung und Überraschung aus.
»Wie ich sehe, hast du dich für das Ei mit dem Ring entschieden. Eine gute Wahl.«
»Warum? Ist es etwas Besonderes?«, fragte Natalon.
»Allerdings«, betonte Aleesa, ohne sich jedoch zu
einer Erklärung herabzulassen. »Du wusstest, wie man mit der Königin spricht, Junge. Das hast du gut
gemacht.« Ihr Lächeln zog sich in die Breite, und sie schaute horchend zum Höhleneingang hin, aus dem
scharrende und hektische Geräusche drangen. Schadenfroh lachte sie leise in sich hinein. »Dieser Mann hat nicht die geringste Ahnung, wie er sich verhalten soll.«
Sie musterte Kindans rechte Hand. »Du warst klug genug, um auf die Königin einzugehen und ihr etwas zu zeigen, das sie milde gestimmt hat.«
»Was denn? Was hast du ihr gezeigt?«, wollte Natalon wissen, der sich ärgerte, weil Aleesa in Rätseln sprach.
»Kindan soll dir alles in Ruhe erzählen. Ich muss
mich um die anderen Bewerber kümmern. Du sorgst
dafür, dass ich mit der nächsten Handelskarawane, die dieses Weges zieht, die versprochene Kohle bekomme, andernfalls lernst du mich kennen, Natalon. Und nun trollt euch, ihr fangt an, mich zu langweilen.«
Kindan ahnte, dass er diese Bemerkung nicht persönlich nehmen durfte. Er half, das Ei in dem mit
Schafsfell gefütterten Beutel zu verstauen, in dem es transportiert werden sollte.
»Wie lange wird es noch dauern, bis der junge
Wachwher schlüpft?«, wandte er sich an Aleesa, da er glaubte, er sei zu dieser Frage berechtigt.
Prüfend legte sie eine Hand auf das Ei. »Hmmmm.
Innerhalb der nächsten Siebenspanne ist es so weit, würde ich sagen. Vielleicht schon früher. Sobald ich höre, dass die ersten Wachwhere schlüpfen, lasse ich euch durch meinen Trommler Bescheid geben.« Sie streichelte ein paarmal über das Ei, als fiele es ihr schwer, es abzugeben.
»Da wäre noch etwas, das ich unbedingt wissen
muss«, sagte Kindan, als Aleesa sich zum Gehen anschickte.
»Ja?«, erwiderte sie und blieb stehen. Ihrer Miene entnahm er, dass sie fand, als künftiger Partner eines Wachwhers sollte er über alles, was die Pflege seines Schützlings betraf, bestens im Bilde sein.
Kindan raffte all seinen Mut zusammen. »Mein Vater zog Dask groß, als ich noch nicht auf der Welt war, deshalb weiß ich nicht, womit man einen jungen Wachwher gleich nach dem Schlüpfen füttert.«
Aleesa hob die Augenbrauen. »Wir probieren immer
noch aus, welches Futter einem frisch aus dem Ei geschlüpften Jungwher am besten bekommt. Ein
Wachwher ist nicht so gierig und unersättlich wie ein junger Drache, aber wenn man ihnen Fleisch gibt,
schlingen sie es hinunter und können an einem Brocken ersticken, wie du weißt.« Sie schaute den Jungen
durchbohrend an, und Kindan nickte hastig, als wüsste er tatsächlich, was sie meinte. »Steht dir zu Hause Hafer zur Verfügung?«
Kindan nickte und sah zu Natalon hin, um festzustellen, ob auch er Aleesa zuhörte.
»Schön. Von eurem Metzger besorgst du dir frisches Blut. Du machst einen Haferbrei, indem du die Flocken mit Wasser vermengst, und dann rührst du das Blut hinein. Ich denke, ein halber Eimer als Zusatz dürfte genügen. Wenn du das Blut an einem kühlen Ort aufbewahrst, bleibt es ein paar Tage lang genießbar. In den meisten Camps und Burgen wird ohnehin täglich
geschlachtet. Füttere den Wachwher, wann immer er
nach Nahrung verlangt, und du darfst ihm auch etwas Leber und Lunge geben. Aber mit Fleisch beginnst du erst, wenn das Tier drei Monate alt
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