Drachenwege
seinen Schlafpelz ge-hüllt, die Küche.
»Schlüpft der Wachwher?«, fragte er, rieb sich den Schlaf aus den Augen und kämmte sich mit den Fingern das Haar.
»Das Ei weist einen großen Sprung in der Mitte auf«, erklärte Kindan. Er eilte mit dem Kessel in den Stall, gefolgt von Meister Zist. Kindan erinnerte sich an das Versprechen, das er Zenor gegeben hatte, aber er wagte es nicht, den Stall zu verlassen. Und im Traum wäre es ihm nicht eingefallen, den Meisterharfner zu bitten, seinen Freund zu wecken. Dies wäre einem Affront gleichgekommen.
Der Spalt in der Eischale hatte sich verbreitert, und im Stroh lag ein Splitter.
»Ich glaube, bei einem Wachwher ist die Lichtemp—
findlichkeit angeboren«, meinte der Harfner und schloss die Öffnung des Glühkorbs zur Hälfte. Er drehte ihn um, so dass der trübe Lichtschimmer, der sich noch hinausmogelte, auf die Stallwand fiel und das Jungtier nicht blendete.
Das Ei begann leicht hin und her zu schaukeln, und Kindan fragte sich, ob er es von den Ziegeln entfernen sollte. Vielleicht war der Untergrund für den jungen Wher zu warm, wenn er die schützende Eihülle verließ.
Er entschloss sich zu einem Kompromiss und zog seinen Schlaf pelz heran, der als Unterlage dienen sollte.
Das Ei ruckte noch einmal heftig, dann zersprang es in zwei Teile. Der Jungwher reckte den Hals und pur-zelte aus der Schale, wobei er mit der Nase voraus auf dem Pelz landete.
Kindan gab ermutigende Zirplaute von sich und
streckte die Hand aus, um das Tier zu berühren. Der Wher hob den Kopf, öffnete das Maul und fing an zu quäken.
»Du musst ihn füttern«, drängte Meister Zist. Kindan fasste in den lauwarmen Brei aus Hafer und Blut, holte einen Klumpen heraus und bot ihn dem Wachwher an.
Genauer gesagt, er beschmierte damit die Zunge des Jungtiers. Sofort schlang der Wher die Nahrung hinunter, schluckte geräuschvoll und sperrte abermals hungrig das Maul auf.
Dieses Mal benutzte Kindan einen Löffel. Als er sah, wie gierig der Wher den Brei verschlang, wusste er, dass man einem so jungen Geschöpf noch keine Fleischbrocken geben durfte. Es konnte leicht daran ersticken.
Er fütterte den Wher, bis der Kessel leer war. Dann legte das Geschöpf den Kopf schief, wie wenn es sich wunderte, warum das Füttern nicht weiterging.
»Ich mache noch einen Topf Brei«, erbot sich Meister Zist und verließ den Stall, derweil Kindan den Wachwher streichelte und gurrende Töne erzeugte, die ihn beruhigen sollten. In der schummrigen Beleuchtung kam es dem Jungen vor, als habe das Tier eine grüne Haut. Falls das stimmte, handelte es sich um ein Weibchen. Zur Bestätigung untersuchte er den Wher vorsichtig und stellte fest, dass tatsächlich ein Weibchen geschlüpft war.
Er massierte die Stummelflügel, um sich zu vergewissern, dass sie sich frei bewegen ließen, streichelte liebevoll die Augenwülste und kratzte die empfindlichen Stellen hinter den Ohren. Der Wachwher stieß mit dem Kopf nach Kindan, kreischte durchdringend und versuchte, mit seinem zahnlosen Maul an den Fingern des Jungen zu saugen.
Kindan erinnert sich, dass Wachwhere ohne ein Gebiss auf die Welt kamen und nach einer Weile zahnten, wie Menschenkinder, wobei sie dieselben Schmerzen und Unannehmlichkeiten durchlitten. Er nahm sich vor, frisches Taubkraut zu besorgen und etwas von diesem hochprozentigen Gebräu, mit dem Mütter die wunden Gaumen ihrer zahnenden Babys bestrichen.
Mit einem ernüchternden Gefühl dachte er sich, dass keine der Mütter, die er kannte, den jungen Wachwher anziehend finden würde. Das Tier hatte einen hässlichen unförmigen Kopf, der an einen Drachen erinnerte. Anstatt der mächtigen, eleganten Schwingen, mit denen die Drachen sich stolz in die Lüfte erhoben, besaß es stumpfe, zu klein geratene Flügel. Dies war also sein Wachwher, der ihn nun mit wütend blitzenden Augen anstarrte. Kindan schloss den Glühkorb noch ein wenig, bis nur noch ein winziger Lichtstrahl durch einen schmalen Spalt drang, und dafür belohnte ihn der
Jungwher mit einem erfreuten Schnurren.
Meister Zist kam zurück, mit beiden Händen einen
Topf tragend. Der Wher knurrte und fauchte, roch den Blutbrei und sprang mit einem großen Satz auf den Harfner zu. Zum Glück war Kindan schneller. Hastig nahm er Meister Zist den Topf ab, schnappte sich den Löffel und klatschte einen ansehnlichen Breikloß in das weit aufgesperrte Maul seines Schützlings. Als diese Portion zur Neige ging, bat Kindan den Harfner, noch einen
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