Drachenwege
Kindan die Brauen hoch. »Meine Sachen?«
Der Harfner nickte. »Von jetzt an wirst du hier schlafen. Du wirst mehr brauchen als deine Pelzdecke.«
Kindan sah sich in dem Stall um. Hier drinnen gab es keinen Ofen, der eine beständige Wärme erzeugt hätte; und er hatte nicht die dicke, derbe Haut eines Wachwhers, die ihn vor Kälte schützte.
»Du musst in der Nähe deines Tiers bleiben«, erklärte Meister Zist. Und mit gedämpfter Stimme fügte er hinzu: »Es könnte Leute geben, die ihm nicht sonderlich zugetan sind. Das Tier ist auf deinen Schutz angewiesen.«
Zenor und Kindan sahen einander bedeutungsvoll ein.
Tariks Quartier - Kindans ehemaliges Elternhaus - lag nur eine Drachenlänge von dem Stall entfernt.
Kindan seufzte. »Natürlich. Aber ...«
»Ich schick dir in regelmäßigen Abständen jemanden, der nachsieht, ob der Wher neues Futter braucht«, versicherte Meister Zist.
»Aber ...«
»Ich weiß, dass es nicht einfach sein wird, wenn du dein ständiges Nachtlager in diesem Schuppen aufschlägst«, fuhr der Harfner fort. »Aber als du dich einverstanden erklärtest, den Wachwher zu pflegen, gingst du eine Verpflichtung ein. Du hast deine Wahl getroffen.«
Kindan verbiss sich jeden weiteren Einwand und
nickte ergeben. »Sicher. Es war meine Entscheidung.
Ich habe mir mein Nest gebaut, und jetzt muss ich darin liegen.«
Meister Zist fing schallend an zu lachen und übertönte Zenors verhaltenes Kichern. »Das ist die richtige Einstellung, Junge.«
»Nach meiner Schicht könnte ich gelegentlich zu dir kommen und dir Gesellschaft leisten«, schlug Zenor vor.
»Danke«, erwiderte Kindan aufrichtig gerührt. »Aber du arbeitest schwer und musst dich ausruhen ...«
»Das ist kein Problem«, fiel Zenor ihm ins Wort.
»Vielleicht könntest du Steiger Natalon bei Gelegenheit zu verstehen geben, dass du mich gebeten hast, dich hin und wieder zu besuchen.«
*
Am Ende der ersten Siebenspanne fühlte sich Kindan von der ungewohnten Anstrengung wie ausgelaugt. Zu der Arbeit mit dem Jungwher kam erschwerend hinzu, dass die Bewohner des Camps ihn mit ihrer Neugier plagten. Dauernd musste er Kinder abwimmeln, die das Tier sehen wollten, und Tarik ging ihm mit seinen düsteren Prophezeiungen auf die Nerven.
»Diese hässliche Kreatur frisst mehr, als sie überhaupt wert ist«, unkte er als Erstes. Später wollte er immerzu wissen: »Wann ist der Wher endlich so weit, dass man ihn unter Tage einsetzen kann?«
Dann verlegte er sich aufs Sticheln. »Wächst dieses Monstrum denn überhaupt nicht? Bis jetzt ist dieses Vieh doch zu nichts nütze. Wie viele Sack Kohle hat Natalon für das kümmerliche Biest bezahlt?«
Mit jedem ungebetenen Besuch Tariks wuchs Kindans Groll gegen den alten Kumpel, dem die Beleidi-gungen und Seitenhiebe nicht auszugehen schienen.
Kindan hatte Angst, den Wachwher allein zu lassen; einerseits fürchtete er, Tarik könnte ihm etwas antun, zum anderen schloss er nicht aus, dass der Jungwher den Mann von sich aus attackieren konnte, wenn er dessen Abneigung spürte und glaubte, sich verteidigen zu müssen. Einmal hätte der Wher um ein Haar Zenor gebissen, als dieser eines frühen Morgens den Stall betrat und den schweren Vorhang zurückzog, der den Eingang zum Schuppen vor zu viel Lichteinfall schützte.
Kindan fühlte sich so ermattet und abgekämpft, dass er sich manchmal fragte, wie es weitergehen sollte, wenn der Heißhunger seines Schützlings nicht irgendwann einmal nachließe.
Jeder weitere Tag, der verging, zehrte an Kindans
Kräften. Seine Augen waren vor Schlafmangel gerötet, er reagierte zunehmend gereizt; keine noch so fröhliche Begrüßung vermochte ihn aufzumuntern, und sogar dem Harfner gegenüber ließ er es an der gebotenen Höflichkeit vermissen. Mittlerweile hegte Kindan jedoch einen großen Respekt vor Zenor, und jetzt bereute er es, weil er ihn früher gehänselt hatte, wenn er sich darüber beklagte, dass er nicht ausreichend Schlaf be-käme. Denn als er sich noch um seine jüngeren Schwestern kümmern musste, fand er nicht oft Gelegenheit, richtig auszuschlafen.
Eines Morgens, gegen Ende der zweiten
Siebenspanne, erwachte Kindan mit einem schweren
Kopf. Ihm war schwindelig, weil er abrupt aus tiefem Schlummer geweckt wurde. Ein Instinkt sagte ihm, dass etwas nicht stimmte. Angestrengt versuchte er, durch die Dunkelheit zu spähen.
Eine fremde Person befand sich im Schuppen.
»Bist du endlich wach?«, fragte eine leise Stimme.
»Das wurde auch
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