Drachenzauber
»Meine Großtante Wilhelmina! Sie sammelt Kessel!«
»Und deine Großtante Wilhelmina wohnt wo genau?«, fragte Grimm, der den Kopf aus Max’ Gürteltasche steckte. »Auf den Inseln der Seligen? Oder am äußersten Ende der nördlichen Öde?«
»Nein, ziemlich in der Nähe sogar«, sagte Adolphus, ohne den Sarkasmus der Ratte zu verstehen. »Ich habe sie mal mit meiner Mama besucht, als ich noch klein war. Sie wohnt in einer Höhle im Wald von Gore. Es ist eine ziemlich große Höhle. Sie ist voller Zauberkessel! Meine Tante ist ein bisschen verrückt ... Aber sie wird sich sehr freuen, uns zu sehen. Das ... äh ... glaube ich jedenfalls.«
Max und Olivia sahen sich an. Das klang lustiger, als den ganzen Tag beim Zaubern zu versagen. Oder sich Krämpfe einzuhandeln, weil man den ganzen Tag Strohpuppen aufrichten musste, die andere umschmissen.
»Wir müssen uns in der Früh davonschleichen«, sagte Max nachdenklich.
»Aber wie sollen wir an den Torwachen vorbeikommen?«, fragte Olivia. »Niemand darf die Burg ohne Erlaubnis verlassen.«
Max grinste. »Ich weiß. Aber das müssen wir gar nicht. Wir können von einem der Türme aus verschwinden. Als Drachen! Wir müssen nur den Froschzauber anwenden, um uns in Frösche zu verwandeln. Und dann muss Adolphus uns küssen ... Denk daran, Menschenküsse verwandeln dich in dich selbst zurück, aber jedes andere Tier wird dich in eines seiner Art verwandeln. Adolphus wird uns mit seinem Kuss in Drachen verwandeln ... Was meinst du, Grimm? Hättest du Lust, ein Drache zu sein?«
Grimm dachte nach. »Danke, ich glaube, ich bleibe eine Ratte. Es besteht immer die Gefahr, dass ihr nicht nur Adolphus’ Gestalt, sondern auch sein Hirn bekommt. Und dann braucht ihr jemanden, der denken kann.«
Max und Olivia hatten alle Hände voll damit zu tun, ihre Flucht in Drachengestalt zu planen. Währenddessen besprachen Lady Morgana le Fay und Sir Richard Hogsbottom die letzten Einzelheiten der größten Drachenjagd, die die Burg je erlebt hatte.
»Nimm auch die Lehrlinge mit. Die ganze Burg soll da draußen unterwegs sein. Je mehr Leute es sind, desto größer die Chance, diese Höhle zu finden«, befahl sie.
»Aber ja doch! In der Tat, Mylady«, stimmte Sir Richard ihr bewundernd zu. Er beugte sich ihr entgegen, um noch demütiger und noch schmeichlerischer zu wirken. Seine fetten weißen Hände flatterten gestenreich umher. »Und mein Sohn Adrian wird auch bei der Jagd dabei sein. Er ist sich der Situation absolut bewusst ... Was für ein Segen, dass Sie den Schatz nun so nahe wissen! Fast zum Greifen nahe!«
Morgana presste die Lippen zusammen und sah finster drein. »Noch ist er nicht zum Greifen nahe, Sir Richard. Und solange wir den runzeligen alten Drachen und seinen Schatz nicht gefunden haben, wird nichts aus unseren Plänen werden. Enttäuschen Sie mich also nicht, Sir Richard. Ich brauche den Schatz von Annwn!«
Großtante Wilhelmina
Max hatte Spaß daran, ein Drache zu sein. Allerdings war es am Anfang ein bisschen knifflig gewesen, mit den Flügeln zurechtzukommen. Zwar hatten sie sich glücklich vom Burgturm aus in die Lüfte geschwungen, aber um durch den Wald von Gore zu fliegen, brauchte es mehr Erfahrung. Einmal war Max voll vor einen Baumstumpf geknallt. Olivia musste so darüber lachen, dass sie von dem Ast stürzte, auf dem sie gehockt hatte. Danach waren sie ein bisschen vorsichtiger geworden. Einem Feuerspuckwettbewerb hatten sie dennoch nicht widerstehen können und dabei eine Spur geschwärzter und versengter Eichen zurückgelassen.
Grimm beschloss daraufhin, dass Adolphus zwar dämlich war – als Drache hatte er aber immer noch diegrößte Erfahrung. Also hockte die Ratte auf Adolphus’ Rücken und verzog angesichts von Max’ und Olivias dummen Streichen das Gesicht.
Gegen Mittag erreichten sie eine Lichtung tief im Wald. Allmählich sah es so aus, als hätten sie sich verirrt.
»Ich dachte, du kennst den Weg, Adolphus«, sagte Max gereizt.
»Nun, also, ja ... Ich glaube ... na ja, ganz sicher bin ich mir nicht ... aber ich glaube, es geht da am Bach entlang. Vielleicht ist es aber auch der Weg da.« Der Drache ließ den Kopf hängen und sah bedauernd drein.
Olivia stupste ihn mit ihrem Schwanz an. »Keine Sorge, Adolphus. Wir machen eine kurze Pause. Dann fällt es dir vielleicht wieder ein.«
»Das glaube ich kaum«, sagte Grimm düster. »Wahrscheinlich finden wir nicht mal mehr den Weg zurück. Müssen den Rest unseres Lebens in diesem
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