Drachenzauber
im Sessel sitzen bliebe, würde sie einschlafen, ganz gleich, wie nervös sie war.
Wards Waffenrock hing über dem Ende des Pfostens. Es hing ein salzig-süßer Geruch an dem Stoff, ein Duft, der auch in seinem Bett wahrzunehmen war.
Wäre sie auch hergekommen, wenn sie sich nicht an diesen einen Nachmittag erinnert hätte, als sie zu einem Dorf geritten waren und sich dabei die Zeit mit Scherzen und boshaften Bemerkungen vertrieben hatten?
Ward hatte wahrscheinlich oft solche Nachmittage. Aber kein Mann vor ihm hatte je Haverness’
Tochter geneckt, die besser kämpfen, reiten und wahrscheinlich auch ringen konnte als die meisten von ihnen. Kein Mann hatte je zuvor mit ihr gelieb-
äugelt. Vielleicht hatte sie es falsch gedeutet, vielleicht war er nur höflich gewesen. Aber zumindest sah er keine Abscheulichkeit, wenn er sie anschaute.
Nun, sie würde ihn nicht in Verlegenheit bringen, indem sie sich an ihn klammerte. Sie wusste, wie man eine Kameradin war, etwas, womit Männer sich wohler fühlten. Sie würde sich nicht zum Narren machen. Sie hielt den Stoff unter die Nase und atmete tief ein, aber noch während sie das tat, verspottete sie sich innerlich selbst dafür, sich zu benehmen wie ein albernes kleines Mädchen.
Die Tür ging auf, und Tisala ließ den Rock los. Sie war in Verteidigungsstellung, als Stala hereinkam.
Dann entspannte sie sich wieder, als ihr klar wurde, dass Wards Tante nicht gesehen hatte, dass sie an seinen Kleidungsstücken schnupperte.
»Tisala«, begann Stala forsch. »Wir haben viel zu besprechen. Lord Duraugh wird in ein paar Tagen hier sein, und wir müssen entscheiden, was wir mit Euch machen. Ich nehme an, Duraugh wird alle Soldaten von Hurog mit nach Estian nehmen, aber wir müssen auch für Eure Sicherheit sorgen. Wie fühlt Ihr Euch?«
Wards Tante sprach schnell, und ihr Ton war eher scharf - aber nur aus Gewohnheit, dachte Tisala, und nicht, weil sie sich über etwas Bestimmtes geärgert hatte.
»Besser, als ich mich eigentlich fühlen sollte«, antwortete sie. »Was ist geschehen, dass Lord Duraugh Männer aus Hurog braucht? Wo ist Ward?«
»Die Soldaten des Königs haben ihn mit nach Estian genommen, wo ihm der Prozess gemacht werden soll - nein, nein, Mädchen«, zischte Stala ungeduldig, »seht mich nicht so an. Soweit ich erkennen konnte, haben sie nicht die geringste Ahnung, dass Ihr hier seid, und Ward hat es ihnen nicht gesagt. Es hat nichts mit Euch zu tun.« Sie warf Tisala einen abschätzenden Blick zu. »Wisst Ihr, wieso Ward vor fünf Jahren in Oranstein gekämpft hat?«
»Vier Jahre«, verbesserte Tisala sie, bevor sie sich bremsen konnte. Dann räusperte sie sich und fuhr fort, bevor Stala sich fragen konnte, wieso Tisala so genau wusste, wie lange es her war, seit sie Ward zum letzten Mal gesehen hatte. »Weil der König drohte, ihn in seinem Irrenhaus einzusperren - er und Tosten sprachen gerade darüber.« Der Gedanke an Ward in einer dieser kargen kleinen Zellen, die sie nur zu gut kannte, bewirkte, dass Tisala sich krank fühlte.
Ihr Götter, dachte sie, das wird er nicht lange überleben.
Stala sagte: »Ward hat Kariarns Invasion aufgehalten, und das brachte ihm genügend Anerkennung ein, dass der König ihn schlecht für verrückt erklären konnte, jedenfalls damals. Aber inzwischen ist Zeit vergangen, und Ward hat nichts Bemerkenswertes mehr getan. Die Menschen vergessen schnell. Anders jedoch als die Allgemeinheit hat Jakoven ein gutes Gedächtnis und ohnehin etwas gegen die Familie von Hurog. Es hat nichts mit Euch zu tun, dass sie ihn mitgenommen haben. Wenn überhaupt, klang das, was Ward mir sagte, eher danach, als wäret Ihr ein Opfer von Jakovens Zorns auf Hurog als andersherum.«
Tisala machte einen Schritt vom Bett weg, gereizt über die Schwäche, die sie unsicher schwanken ließ.
»Ihr dürft nicht zulassen, dass sie ihn ins Asyl bringen. Wart Ihr je dort?«
Stala zuckte die Achseln, aber Tisala sah ihr an, dass sie sich bei diesem Gedanken ebenfalls unbehaglich fühlte. »Ich lasse gar nichts zu. Ward hat beschlossen, dass er mit ihnen gehen wird, und uns anderen unsere Befehle gegeben. Ich soll dafür sorgen, dass Ihr in Sicherheit seid.« Sie kniff die Augen zusammen und packte Tisala just in dem Moment, als die Knie der jungen Frau nachgaben. In Stalas festem Griff stolperte sie zum Sessel zurück.
Die Stimme der älteren Frau wurde weicher. »Ihm wird nichts passieren, Mädchen. Oreg folgt ihnen bereits. Er wird nicht
Weitere Kostenlose Bücher