Drachenzauber
Bruder mithilfe meiner Magie zu finden.
10
GARRANON IN ESTIAN
Erst als Erwachsene verstehen wir unsere Kindheit.
Der Himmel war noch dunkel, als Garranon in seinem Übergangsquartier aufstand, durch die Flure des Schlosses ging und die Gemächer betrat, die die seinen gewesen waren, seit er zum ersten Mal nach Estian gekommen war. Seine Sachen waren am Tag zuvor auf Befehl des Königs weggebracht worden - Jakoven glaubte, sie befänden sich in anderen Räumen, aber Garranon hatte sie nach Hause nach Oranstein schicken lassen.
Der Malachitboden schimmerte im Licht der Fackel, die er aus dem Flur mitgebracht hatte. Der Boden war älter als die Wände, eines der wenigen Dinge, die Jakoven nicht verändert hatte, als er das Schloss renovieren ließ. Grün, dachte Garranon, grün für den Favoriten des Königs, die Farbe, die in Oranstein Huren trugen, die ihrem Gewerbe nachgingen.
Angemessen.
Der König hatte ihn aus diesen Räumen entlassen, den Räumen, die der Hure des Königs gehörten.
Allein in dem Zimmer, das einmal ihm gehört hatte, schloss Garranon die Augen. Er war so müde.
Zwei Jahrzehnte war er nun Geisel für seinen Bruder und für seine Heimat gewesen, und nun war er unnütz geworden. Wenn der richtige Zeitpunkt kam, würde er sich auf seinen Besitz zurückziehen, wie Haverness das getan hatte, und nicht wieder an den Hof zurückkehren. Der König würde ihm das nach all diesen Jahren doch sicher erlauben.
Er kam sich hohl und nutzlos vor. Alle Opfer, die er gebracht hatte, hatten zu nichts geführt. Er war für den König nicht mehr wichtig, und aus diesem Grund war er auch nicht mehr wichtig für Oranstein.
Die Zimmerflucht, in der er die letzten zwei Jahrzehnte verbracht hatte, fühlte sich ohne seine Sachen seltsam verlassen an. Garranon nahm an, er sollte die Schubladen und Schränke öffnen und sich davon überzeugen, dass die Schlossdiener auch alles he-rausgenommen hatten, aber stattdessen ging er von einem Zimmer ins andere und beobachtete, wie sich das Fackellicht im polierten Boden spiegelte.
Der König hatte einen neuen Favoriten gefunden.
Jemanden, der ihm wichtiger war als Jadeauge - der ebenso sehr eine Waffe gewesen war, die er gegen Garranon nutzte, wie ein ernsthafter Rivale um die Position des Favoriten. Der König war sehr böse auf Garranon gewesen, weil dieser sich entschlossen hatte, für Oranstein zu kämpfen, obwohl Jakoven gewollt hätte, dass Oranstein an die Vorsag fiel, bevor er mit der Verteidigung begann. Dass Haverness’
Hundert die Eindringlinge tatsächlich zurückge-schlagen hatte, rieb Salz in die Wunden, die der Stolz des Königs erlitten hatte.
Jadeauge war eine Strafe für Garranon gewesen, und eine Warnung. Dieser neue Favorit unterschied sich von allen anderen zuvor - Jadeauge hatte nicht gerade triumphierend gewirkt, als er Garranon die Nachricht überbracht hatte, er solle seine Wohnung räumen.
Garranons Tage als Favorit des Königs waren zu Ende, und mit ihnen alle Hoffnung, die er gehabt hatte, seinem Volk zu helfen. Nicht, dass er das in diesen letzten Jahren oft hätte tun können. Es war Zeit, nach Hause zu gehen und Jakoven seinem neuen Spielzeug zu überlassen.
Warum tat es so weh?
Er berührte zerstreut ein besticktes Sofa, und eine Erinnerung kam ihm. Er war im Garten gewesen und hatte sich ruhig mit der Königin unterhalten; also musste es vor ein paar Jahren gewesen sein, noch vor dem Tod des jungen Hurog, der sie dazu getrieben hatte, sich einsam auf ihren Familienbesitz zurückzuziehen.
Ein Diener hatte ein Tablett mit Essen fallen lassen und ihn von dem Gespräch abgelenkt. Als er aufblickte, war sein Blick an dem Gesicht eines geringeren Adligen hängen geblieben, einem Mann, den er im Lauf der Jahre häufig gesehen hatte, und für einen Augenblick war Garranon wieder ein entsetzter kleiner Junge in den Überresten des Gartens seiner Mutter gewesen, der sich gefürchtet hatte, vergewaltigt zu werden, und der unbedeutende Adlige aus Avinhelle hatte seine Handgelenke festgehalten.
Er war unfähig gewesen, mit der unerwarteten Erinnerung fertig zu werden, hatte sich ohne ein Wort umgedreht und auf dieses bestickte Sofa zurückge-zogen. Er hatte den König im Garten nicht bemerkt, aber Jakoven war ihm nur einen Augenblick später gefolgt.
Auf das beharrliche Drängen des Königs hatte Garranon zögernd gestanden, was an diesem Tag vor so langer Zeit geschehen war, während der König ihn im Arm gehalten hatte.
In dieser
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