Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
du eines Tages einen langen weißen Umhang mit feinstem Hermelinbesatz tragen würdest.«
»Wie erinnerst du dich nur daran?«, fragte ich verwundert.
»Ich erinnere mich an alles, was mit dir zu tun hat. Du bist immer meine Prinzessin gewesen.« Während er sprach, schaute er
voller Wärme und Zuneigung auf mich herab, so |425| wie er mich angesehen hatte, ehe ich von der Narbe gezeichnet war.
»Oh, Jonathan.«
Nun trat er vor und nahm meine Hände in die seinen. »Mina, die letzten Monate waren für mich die Hölle auf Erden. Ich weiß,
dass sie das auch für dich waren. Und ich weiß, dass ich in der letzten Woche … unnahbar war. Ich habe deswegen ein sehr schlechtes
Gewissen. Ich möchte dir sagen, wie leid es mir tut.«
»Jonathan, still«, erwiderte ich rasch. »Ich war doch auch so reserviert. Du musst dich nicht entschuldigen.«
»Doch, das muss ich. Warum du schweigst, weiß ich. Das hat dir das Gift in deinem Blut angetan. Aber ich habe zugelassen,
dass genau dieses Gift, das dich infiziert hat, auch meine Gedanken verunreinigt. Die ganze Woche über habe ich dich betrachtet,
als seist du etwas Besudeltes oder Schlechtes. Ich habe mich davor gefürchtet, dich auch nur zu berühren oder mit dir zu sprechen.
Ich habe mich von den anderen überreden lassen, dich über unsere Pläne im Dunkeln zu halten. Dir nichts mitzuteilen, nichts!
Kein Wort, keine Anspielung, nichts!«
»Sie haben ja recht damit!«, warf ich ein. »Du solltest mir nicht trauen. Denn wenn der Graf meine Gedanken lesen kann …«
»Der Graf soll verdammt sein, und mit ihm all seine verfluchten Ränkespiele! Es ist mir einerlei, wenn er jedes Wort hören
kann, das ich spreche. Es ist mir zutiefst zuwider, vor dir Geheimnisse zu haben. Es ist mir zuwider, alles zensieren zu müssen,
was ich zu dir sage. Du bist meine Frau, Mina. Ich liebe dich. Ich liebe dich schon mein ganzes Leben lang. Zwischen uns sollte
es keine Geheimnisse geben.«
Ich spürte, wie mir die heiße Röte in die Wangen stieg, und konnte ihm nicht in die Augen schauen. »Nein, das sollte es nicht.«
»Wenn ich weiterhin meine Gedanken abschirme, wenn ich bei dir bin«, fuhr er ernst fort, »dann fürchte ich, dass wir uns |426| noch mehr entfremden. Es wird sein, als schlösse sich zwischen uns eine Tür. Das will ich nicht, und ich weigere mich, es
länger zuzulassen.« Er nahm mich in die Arme. »Morgen fahren wir los. Wir haben eine lange Reise vor uns. Aber wir werden
zusammen sein. Und in weniger als ein, zwei Wochen ist alles vorüber.«
»Wirklich?«
»Ich hoffe es. Doch wenn es länger dauern sollte, oder wenn, Gott behüte, unser Versuch fehlschlägt, dann sollst du wissen,
dass ich dich niemals im Stich lassen werde, Mina. Um dich zu befreien, werde ich diesem grässlichen Ungeheuer an alle Enden
der Erde folgen, wenn es sein muss! Ich schwöre, dass ich alles tun werde, um ihn für immer und alle Zeiten in die flammende
Hölle hinabzuschicken!«
Dann küsste er mich und drückte mich fest an sich. Oh!, dachte ich, als ich die Umarmung meines Ehegatten erwiderte, was sollte
ich nur mit dieser wilden, unverdienten Treue anfangen? Wie konnte Jonathan wissen, dass ein so liebevolles, selbstloses Angebot
das Letzte war, was ich mir gewünscht hätte?
In dieser Nacht liebten Jonathan und ich einander. Es war seit zwei Wochen, seit unserer Abreise aus Exeter das erste Mal,
dass wir miteinander intim waren. Er schloss mich in die Arme, und ich war so sehr darauf erpicht, ihm meine Zuneigung zu
beweisen, dass ich wohl auf seine Avancen ein wenig eifriger und kreativer als sonst reagierte.
»Aber Frau Harker, was machen Sie denn da?«, erkundigte sich Jonathan irgendwann einmal recht verwundert.
»Ich weiß nicht«, antwortete ich leise. »Gefällt es dir nicht?«
»Doch, doch«, erwiderte er. Als ich im Dunklen zu ihm schaute, konnte ich sehen, dass ein strahlendes Lächeln sein Gesicht
erhellte. Schon bald machte er sich begeistert über mich her. Ich meinerseits hatte auch einige Anregungen vorzubringen, die
er überrascht, aber nur zu gern aufnahm.
|427| Ich glaube, dass wir beide diesen Liebesakt als außerordentlich befriedigend empfanden.
Als ich mich danach zufrieden und strahlend in seine Arme schmiegte, wandte er sich zu mir und sagte mit einem schelmischen
kleinen Lächeln: »Nun, das Vampirblut in deinen Adern scheint doch auch einige Vorteile gebracht zu haben.«
Da mussten wir einfach
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