Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
Grafen aufspüren wollen. Sie könnten mich unterwegs
hypnotisieren und von mir Dinge erfahren, die ich selbst nicht weiß.«
»Seit Tagen sage ich das Gleiche!«, rief Jonathan eifrig. »Professor, mir ist der Gedanke zutiefst zuwider, dass ich hier
bleiben soll, während Sie vier die schrecklichsten Gefahren auf sich nehmen. Und Mina wird mit uns zusammen sicherer sein.«
»Frau Mina, Sie haben wie immer das Richtige getroffen. Sie haben mich überzeugt. Sie sollen mit uns kommen.«
Die Woche verschwamm zu einem einzigen Wirbel von Aktivitäten. Den ganzen Tag lang besprachen sich die Männer im Geheimen
und trafen Vorkehrungen für unsere Auslandsreise. Obwohl ich mitkommen sollte, teilten sie mir beinahe nichts von ihren Plänen
mit, behandelten mich zwar voller Herzlichkeit, aber auch mit einer Spur Misstrauen. Dr. Seward sorgte dafür, dass sein Freund
Dr. Hennessey (der schon vorher seine Patienten übernommen hatte, während Dr. Seward sich in London um Lucy kümmerte) ihn
als Leiter |423| des Irrenasyls vertrat. Jonathans Arbeitsbelastung war ohnehin nicht sehr hoch gewesen, als wir Exeter verließen. Trotzdem
schrieb er an seinen Assistenten in der Anwaltskanzlei und erklärte ihm bis in alle Einzelheiten die Vorkehrungen, die zu
treffen waren, sollte er verspätet zurückkehren.
Jeden Tag besuchte mich Nicolae in meinen Gedanken, berichtete mir von den Fortschritten seiner Heimreise. Jede Nacht durchlebte
ich aufs Neue den zauberhaften Traum von der Liebe, die ich mit ihm erfahren hatte. Oh!, dachte ich, wenn nur Jonathan mich
einmal so berühren würde! Aber Jonathan wahrte Abstand.
Am Abend, bevor wir laut Plan England verlassen sollten, bereitete ich mich gerade darauf vor, zum Abendessen hinunterzugehen,
als Jonathan in unser Zimmer gestürmt kam. Er lächelte und trug eine große Schachtel, die aussah, als stamme sie aus einem
exklusiven Londoner Geschäft.
»Mina, ich habe etwas für dich.«
Seit langem hatte ich auf Jonathans Zügen nicht mehr einen solchen Ausdruck der Freude und eifrigen Erwartung wahrgenommen.
Ich ging zu ihm. »Du warst in der Stadt?«
»Ja. Und dies hier habe ich in einem Schaufenster gesehen und musste gleich an dich denken.« Er legte die Schachtel aufs Bett.
»Los, mach sie auf.«
Ich öffnete die Schachtel und jauchzte vor Freude. Es lag ein langer weißer Wollumhang darin, der mit getüpfeltem weißem Hermelin
gesäumt war, außerdem eine dazu passende Hermelinmütze. »Oh!«, rief ich, hüllte mich sogleich in die üppigen Falten des Umhangs
und ließ die Finger durch den weichen Pelzkragen gleiten. »Jonathan! Wie wunderschön! Aber es muss ein kleines Vermögen gekostet
haben.«
»Das Geld ist mir gleichgültig. Wenn ich mich nicht irre, hast du dir so etwas schon gewünscht, als du noch ein ganz kleines
Mädchen warst.«
Ich begriff zwar nicht recht, was er damit meinte, aber ich setzte die Hermelinmütze auf und trat vor den Spiegel, wo |424| ich mein Ebenbild anstarrte. »Ich sehe aus wie eine Königin.« Sobald ich diese Worte ausgesprochen hatte, erinnerte ich mich
an den kindlichen Wunsch, auf den sich Jonathan gerade bezogen hatte. Meine Augen trafen im Spiegel die seinen, und ich entnahm
seinem Lächeln, dass wir die gleiche Erinnerung hatten.
»Du warst sechs Jahre alt, vielleicht sieben«, sagte Jonathan leise, »und ich nur ein paar Jahre älter.«
»Wir haben im Wohnzimmer deiner Mutter im Waisenhaus Verkleiden gespielt.«
»Du warst die Königin. Du trugst ein zerlumptes altes weißes Tischtuch als Umhang. Und ich war dein Untertan.« Mit einem Grinsen
spielte er die Szene nach. Er nahm seinen Regenschirm zur Hand und reichte ihn mir. Dann kniete er mit feierlicher Geste vor
mir nieder. »Eure Majestät«, sagte er und neigte das Haupt.
Mit einem Lächeln berührte ich mit dem Schirm zuerst seine rechte, dann seine linke Schulter und erklärte in königlichem Tonfall:
»Hiermit schlage ich Euch zum Ritter. Erhebt Euch, Sir Jonathan. Ihr dürft meine Hand küssen.«
Er stand auf und küsste mir die Hand, verbeugte sich dann mit höfischer Eleganz. »Ich schwöre Euch die Treue, Eure Hoheit,
und werde bis ans Ende meiner Tage Eure Ehre verteidigen.«
Unsere Blicke trafen sich, und wir prusteten los vor Lachen. »Das hatte ich vergessen.«
»An diesem Tag hast du dir gewünscht, dass deine Eltern dich finden würden und dass du als Prinzessin erkannt würdest. Und
du hast geschworen, dass
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