Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
glauben.« Dann ergriff er Jonathans Toilettenspiegel. »Und dieses verfluchte Ding ist schuld daran. Es ist ein schlechtes
Spielzeug menschlicher Eitelkeit. Fort damit!« Er öffnete das große Fenster mit einer schnellen Bewegung und warf den Spiegel
hinaus, der tief unten auf dem Pflaster des Burghofes in tausend Scherben zersprang.
Jonathan hätte gern gewusst, warum sich der Graf so merkwürdig verhielt. Nun begann er alles in Frage zu stellen. Warum aß
und trank der Graf niemals in seiner Gegenwart? Wenn er wirklich der Kutscher gewesen war, welch seltsame Gewalt besaß er
über die Pferde und die Wölfe? Warum hatten die Menschen in Bistritz und seine Reisegefährten in der Postkutsche eine so lebhafte
Sorge um Jonathan gezeigt? Was bedeutete es, dass man ihm Kruzifixe, Knoblauch, wilde Rosen und Ebereschenzweige geschenkt
hatte?
Wirkliche Angst ergriff Jonathan erst, als er nach einer kurzen Erkundung der Burg festgestellt hatte, dass alle Türen, die
nach draußen führten, verschlossen und verriegelt waren. Es gab keinen Ausweg aus der Burg, nur durch die Fenster. Wurde er
gefangen gehalten? Hegte Graf Dracula finstere Absichten? Oder ließ sich Jonathan nur von seiner eigenen Angst täuschen? Er
beschloss, seine Befürchtungen für sich zu behalten, Augen und Ohren aufzusperren und sich auf eine schnellstmögliche |167| Abreise vorzubereiten. Graf Dracula bestand jedoch darauf, dass Jonathan noch einen weiteren Monat in Transsilvanien bleiben
solle, und drängte ihn, einen Brief nach Hause zu schreiben, der die Verzögerung erklärte. Jonathan, der das Gefühl hatte,
seinem Arbeitgeber zuliebe dem Grafen entgegenkommen zu müssen, gab dieser Bitte zögernd nach.
Eines Nachts, als Jonathan zu einem Fenster der Burg hinausspähte, beobachtete er etwas, das ihn außerordentlich schockierte:
Er sah, wie sich Graf Dracula aus einem der tiefer gelegenen Fenster zwängte und wie eine Eidechse die Burgmauer hinunterbewegte.
Jonathan wollte seinen Augen nicht trauen. Der alte Mann kletterte, mit dem Kopf nach unten, oberhalb des fürchterlichen Abgrunds,
wobei sich seine Finger und Zehen in die Mauerritzen krallten. Dann verschwand er durch eine Öffnung, die zu einem weiter
unten gelegenen Pfad führte. Was für ein Mensch ist das, überlegte Jonathan voller Schrecken, der ein Gebäude auf diese Art
verlässt? Oder vielmehr, was für eine Kreatur ist das, die sich hier in Menschengestalt verbirgt?
Jonathan beschloss, die Burg weiter zu erkunden und einen Weg hinaus zu suchen. Endlich gab eine Tür am Ende eines langen,
dunklen Gangs seinem Druck nach. Er befand sich in einem staubigen, aber bequem eingerichteten Salon, von dem er annahm, dass
sich in längst vergangenen Zeiten hier die Damen aus Draculas Familie aufzuhalten pflegten. Die schreckliche Einsamkeit dieses
Ortes krampfte ihm das Herz zusammen und machte seine Nerven erzittern. Schon bald übermannte ihn eine bleierne Müdigkeit,
und trotz der Warnung des Grafen legte er sich auf eine Ottomane und schlief ein.
Die darauffolgenden Ereignisse ähnelten einem grausigen Albtraum, und doch muss er sie als erschreckend wirklich empfunden
haben. Drei wunderschöne junge Frauen erschienen plötzlich im Raum, ihrer Kleidung und ihrer Haltung nach vornehme Damen.
Zwischen ihren sinnlichen roten |168| Lippen strahlten blendend weiße Zähne hervor. Zwei waren dunkelhaarig, die Dritte blond. Sie näherten sich Jonathan lachend
und flüsternd. Sie verursachten ihm Unbehagen, doch gleichzeitig (so schrieb er beschämt nieder) verlangte ihn brennend danach,
dass sie ihn küssten.
»Nun los!«, sagte eine der dunkelhaarigen Schönheiten wollüstig zu der Blonden. »Du bist die Erste, und wir schließen uns
dann an.«
»Er ist jung und stark«, fügte die andere heißblütig hinzu. »Das gibt Küsse für uns alle.«
Die blonde Frau, die Schönste von allen, beugte sich über ihn und leckte sich kokett die Lippen. Ihr Atem war honigsüß, und
Jonathan zitterte und bebte vor Verzückung und Begierde, als sie seinen Hals mit ihren Lippen berührte. Er verharrte in banger
Erwartung, als er die harten Spitzen zweier scharfer Zähne spürte, die seine Haut berührten und plötzlich innehielten. Graf
Dracula kam ins Zimmer gestürzt. Er packte den schönen Nacken der blonden Frau und riss sie mit Riesenkräften zurück. Seine
Augen sprühten vor roten Flammen höllischer Wut, und er rief: »Wie könnt ihr es
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