Dracula, my love
fernzubleiben, wenn uns unser Leben lieb ist, da sie von Dämonen bewohnt ist.“
Genau in diesem Augenblick flog am hinteren Ende des Wagens eine Tür auf. Eine ältere Zigeunerin mit einem tiefvioletten Kopftuch trat heraus, stieg die Leiter hinunter und kam auf uns zugehumpelt, die dunklen Augen fest auf mich gerichtet. In ihrem Blick lag so viel konzentriertes Interesse, dass ich wie angewurzelt auf der Stelle stehen blieb. Warum sah sie mich so an? Lag es wieder einmal an der Narbe auf meiner Stirn? Aber nein, ihre Aufmerksamkeit schien auf mein ganzes Wesen gerichtet zu sein, als müsste sie eine außerordentliche Botschaft entziffern. Sie blieb vor mir stehen, ergriff meine Hand und hielt sie fest mit ihren schwieligen Fingern umklammert, während sie mir in die Augen starrte. Dann durchfuhr sie ein freudiger Schrecken. Ihr Gesicht hellte sich vor Entzücken auf, und sie sprach mit angeregter, rauer Stimme. Die Worte verstand ich nicht, aber aus ihren Gesten, daraus, wie sie erst auf mich, dann auf sich selbst und die anderen am Lagerfeuer deutete, wurde mir deren Bedeutung sofort klar.
Sie sagte, dass ich eine der Ihren wäre!
Die anderen Zigeuner erhoben sich und versammelten sich voller freudiger Erregung um mich, berührten mich, umarmten mich, schüttelten mir die Hand, riefen laut und lächelten. Ich war so überwältigt, dass ich kaum wusste, was ich sagen oder denken sollte. Dr. van Helsing führte ein kurzes Gespräch, das er mir rasch übersetzte.
„Sie sagen, dass die alte Frau viele Dinge weiß. Sie erklärt, dass Sie zu ihrer Familie gehören. Ich habe erwidert, dass Sie aus England stammen, aber sie besteht darauf, dass gewiss Zigeunerblut in Ihren Adern fließt.“
Ich war sprachlos vor Verwunderung. War es denn möglich? Stammte meine eigene Mutter - stammte ich - von diesen Leuten ab?
Die Zigeuner luden uns zu sich an ihr Lagerfeuer und zum Frühstück ein. Der Professor war damit einverstanden, eine kleine Rast einzulegen. Wir verbrachten eine halbe Stunde in der Gesellschaft der Zigeuner, in der sie uns mit Großzügigkeit und Freundlichkeit bewirteten und Geschichten erzählten, die mir Dr. van Helsing nach besten Kräften übersetzte. Sie erklärten, dass sie zum Stamme der Konoria gehörten, einem von vielen Tausenden nomadischer Zigeunerstämme in Rumänien. Die alte Frau war ihre Seherin, und ihre Weissagungen brachten der Gruppe den größten Teil ihres Vermögens ein. Der schaurigste Augenblick kam, als die alte Frau erneut meine Hand ergriff und mit bedeutungsschwangerer Stimme verkündete: „Du stehst vor einer großen Gefahr, und du wirst gezwungen sein, eine wichtige Entscheidung zu treffen. Höre darauf, was dein Körper dir sagt. Er ist im Wandel begriffen. Lass dich von ihm leiten.“ (Zumindest hat Dr. van Helsing das mit ernster Miene und gerunzelter Stirn so für mich übersetzt.)
Diese Prophezeiung von Gefahr, Entscheidungen und der Veränderung meines Körpers erfüllte mich mit stummer Angst. Aber ich verdrängte die Furcht rasch aus meinen Gedanken, weigerte mich einfach, die Weissagung zu glauben. Selbst Zigeunerinnen konnten sich mit ihren Vorahnungen irren, oder nicht?
Auch die Alte warnte uns nun eindringlich, uns von der „furchtbaren Burg“ fernzuhalten, eine Mahnung, die der Rest der Gruppe nachdrücklich bekräftigte. Die dreißig Minuten vergingen wie im Flug, und ich trennte mich nur sehr ungern von den freundlichen Menschen. Während wir uns umarmten und zum Abschied die Hände schüttelten, wusste ich, dass ich diese Leute höchst wahrscheinlich niemals wiedersehen würde. Denn der Weg der Zigeuner war, ihrer Natur nach, ungewiss.
„Nun, das war äußerst interessant“, meinte Dr. van Helsing, als wir beide uns wieder auf den Weg machten.
„Ich hatte niemals Verwandte. Erst kürzlich habe ich erfahren, dass meine Mutter vielleicht Zigeunerblut in den Adern hatte. Zu denken, dass einer meiner fernen Vorfahren vielleicht ein Mitglied dieser Familie war, ist wirklich aufregend.“
„Ja. Aber es ist doch schade, dass sie uns nicht helfen konnten oder wollten, Draculas Burg zu finden. Was mich allerdings auch nicht besonders überrascht hat.“ Der Professor verstummte einen Augenblick und sah mich dann merkwürdig an. „Was hat die Alte damit gemeint, als sie Ihnen vorhersagte, dass Sie gezwungen sein würden, eine wichtige Entscheidung zu treffen?“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte ich, während mich ein kleiner Schauder
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