Dracula, my love
uns auf eine schattige Bank setzten. Jonathan schloss die Augen und lehnte sich an mich, hielt immer noch meine Hand in der seinen. Nach wenigen Minuten spürte ich, wie sich sein Griff lockerte, und bemerkte, dass er eingeschlafen war.
Während ich so dasaß, Jonathans Kopf an meine Schulter geschmiegt, und lauschte, wie eine leichte Brise durch die Blätter raschelte, raste mein Herz noch immer. Wer war der seltsame Mann gewesen, den wir gesehen hatten? Warum ähnelte er Herrn Wagner so sehr? Er hätte der Vater dieses Herrn sein können, doch Herr Wagner hatte mir ja gesagt, dass seine beiden Eltern verstorben waren. Warum, überlegte ich, hatte Jonathan beim Anblick dieses Mannes so heftig reagiert? Wenn ich ihn nur hätte fragen können! Aber ich wagte es nicht, denn ich fürchtete, dass mehr Schaden als Nutzen daraus entstehen würde.
Unsere Heimkehr an jenem Abend war eine traurige Angelegenheit. Das Haus fühlte sich fremd und leer an ohne Herrn Hawkins. Jonathan war bleich und verstört, er hatte einen leichten Rückfall in seine Krankheit erlitten. Und mich erwartete ein Telegramm, das am Tag zuvor aus London abgeschickt worden war und äußerst verheerende Nachrichten enthielt:
21. SEPTEMBER 1890
FRAU MINA HARKER: ICH HABE IHNEN DIE TRAURIGE MITTEILUNG ZU MACHEN, DASS MRS. WESTENRA VOR FÜNF TAGEN VERSTORBEN IST. IHRE TOCHTER LUCY FOLGTE IHR VORGESTERN NACH. BEIDE SIND HEUTE BEERDIGT WORDEN.
ABRAHAM VAN HELSING
Ich las die Worte einmal, zweimal, dreimal und hoffte, dass irgendein Irrtum vorlag. Als mir schließlich die volle Bedeutung dieser schrecklichen Nachricht aufging, schien der Boden unter meinen Füßen nachzugeben. Ich sank auf dem Sofa zusammen und stieß einen Schmerzensschrei aus.
„Was ist?“, fragte Jonathan, während er an meine Seite eilte. „Was ist geschehen?“
„Oh, welch eine Fülle von Elend in so wenigen Worten!“, stammelte ich, als ich ihm das Telegramm reichte.
Er las es, sank dann wie betäubt neben mir nieder. „Frau Westenra? Und Fräulein Lucy? Beide tot?“
Tränen schossen mir in die Augen. „Wie ist das möglich? Ich wusste, dass Frau Westenra krank war. Und doch hatte ich gehofft, sie würde sich wieder erholen. Ich werde sie schmerzlich vermissen. Aber Lucy! Die arme, liebe Lucy! Meine liebste, meine allerliebste Freundin. Nächste Woche wäre ihr Geburtstag gewesen! Sie war nicht einmal zwanzig Jahre alt!“
„Es tut mir so leid, Mina“, sagte Jonathan leise und nahm meine Hand. „Sie war eine wunderschöne junge Frau, und ich weiß, wie sehr du sie gemocht hast.“
„In ihrem letzten Brief schrieb sie, sie sei wohlauf und glücklich“, schluchzte ich. „Wie kann sie da tot sein? Was ist da nur geschehen?“
„Vielleicht hatte sie einen Unfall.“
„Wenn das so ist, wer ist dann dieser Herr van Helsing? Warum hat er mir geschrieben? Warum habe ich so wichtige Nachrichten nicht von Lucys Verlobtem, Herrn Holmwood, erfahren?“
„Vielleicht ist seine Trauer zu tief, als dass er schreiben könnte“, überlegte Jonathan laut. „Van Helsing muss der Rechtsanwalt der Familie sein. Es wäre doch möglich, dass du in Lucys Testament erwähnt wirst.“
„Lucy hat sich nie die Mühe gemacht, ein Testament zu schreiben, da bin ich mir sicher. Oh! So jung dahingerafft zu werden, weniger als zwei Wochen vor der Hochzeit, so voller Leben und Zukunftshoffnungen! Und der arme Herr Holmwood!“ Plötzlich stieg ein Gedanke in mir auf, und ich musste ein Schluchzen unterdrücken. „Jonathan, ist dir das klar: während du und ich an der Beerdigung von Herrn Hawkins teilnahmen und dem Waisenhaus einen Besuch abstatteten, waren Lucy und ihre Mutter beide schon tot und begraben. Fort, fort, auf Nimmerwiedersehen!“
Ich weinte, als müsste mir das Herz brechen. Jonathan zog mich in seine Arme, hielt mich fest und strich mir schweigend übers Haar.
Ehe wir zu Bett gingen, schrieb ich an Herrn Holmwood, drückte ihm mein tiefempfundenes Beileid aus und bat ihn, mir Einzelheiten über das tragische Schicksal mitzuteilen, das meine Freundinnen ereilt hatte.
Es schien, als sollten unser Schmerz und unsere Schwierigkeiten kein Ende nehmen, denn in jener Nacht wurde Jonathan erneut von schrecklichen Träumen heimgesucht.
„Nein! Rührt mich nicht an! Verschwindet, ihr schrecklichen Harpyien!“, schrie er im Schlaf, während er sich mit den Händen an die Kehle griff, als wollte er sich gegen ein unsichtbares Unheil schützen.
Ich weckte ihn sanft auf, wie
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