Dracula, my love
Sie die Gelegenheit gekommen, Ihre Neugierde zu befriedigen. Es wäre doch schade, wenn Sie wieder gehen würden, ohne zumindest einen Versuch unternommen zu haben.“
Immer noch peinlich berührt, verlangsamte ich meine Schritte. Doch eine innere Stimme flüsterte mir zu, dass Herr Wagner recht hatte.
„Wovor fürchten Sie sich?“, beharrte er.
„Ich fürchte mich davor“, brach es aus mir hervor, „dass die Menschen, wenn sie sich überhaupt noch an meine Mutter erinnern, auf mich herabsehen werden, weil ich ihre Tochter bin.“
Herr Wagner berührte meinen Arm und brachte mich zum Stehen. „Falls die Leute das tun, dann ist das ihre Sache. Ihre Mutter hat Sie geliebt und getan, was sie für das Beste für Sie hielt. Darauf sollten Sie stolz sein. Aber Sie müssen ja nicht sagen, dass Sie ihre Tochter sind, sondern lediglich, dass Sie Nachrichten über sie suchen.“
Plötzlich schämte ich mich meiner Schwäche und meines Unbehagens. „Sie haben einmal gesagt, ich sollte mich nicht so sehr darum kümmern, was andere Menschen von mir denken. Sie sagten ›schlagen Sie alle Vorsicht in den Wind‹. Doch das ist leichter gesagt als getan.“
„Nichts, was wirklich etwas wert ist, ist leicht.“
Ich lächelte, atmete tief durch und nahm all meinen Mut zusammen. „Wo sollten wir anfangen?“
Erst war es wie ein Spiel. Wir blieben bei dem Haus stehen, das unmittelbar vor uns war, und klopften an die Tür. Das Hausmädchen, das die Tür öffnete, war noch jünger als ich und wusste nichts von irgendwelchen Bediensteten, die vor mehr als zwei Jahrzehnten in der Nachbarschaft gearbeitet hatten. Bei den anderen Häusern erging es uns nicht besser. Selbst die Diener und Haushälterinnen mittleren Alters, die alt genug gewesen wären, um etwas über das Hin und Her in der Nachbarschaft wissen zu können, hatten keinerlei Erinnerung an ein Hausmädchen namens Anna oder einen Mann namens Herr Cuthbert. Jedoch tischte man uns einige andere Geschichten auf, Berichte von Mädchen, die „während sie in Stellung waren, in andere Umstände kamen“, dann fortgegangen waren, und von denen man nie wieder etwas gehört hatte.
Schon wollte ich aufgeben, doch Herr Wagner bestand darauf, es noch in einem weiteren Haus zu versuchen. Wieder einmal war das fröhliche Hausmädchen, das uns die Tür öffnete, zu jung, um uns behilflich sein zu können.
„Es tut mir leid, Fräulein“, sagte die Frau. „Ich bin jetzt schon zehn Jahre hier angestellt, aber ich weiß nichts über irgendwelche Dinge, die vor meiner Zeit hier geschehen sind.“
„Gibt es in der Nachbarschaft eine Familie namens Cuthbert oder einen Diener oder Kutscher mit diesem Namen, der vielleicht vierzig Jahre oder älter ist?“, fragte ich, genau wie in jedem anderen Haus zuvor.
„Nein, Fräulein. Nicht, dass ich wüsste.“
Gerade wollte sie die Tür schließen, als Herr Wagner fragte: „Gibt es zufällig in der Nähe einen Mann, dessen Vorname Cuthbert ist?“
„Nun, da wäre Sir Cuthbert Sterling, der im Haus Nummer 24 auf dieser Straße wohnt. Allerdings sieht man ihn nicht oft, da er einen Sitz im Parlament hat. Und wenn er nicht arbeitet, geht er mit Lady Sterling aus.“
Mein Puls beschleunigte sich. „Wohnt er schon lang dort?“
„Oh, die Sterlings wohnen beinahe eine Ewigkeit hier in der Straße. Das hat man mir zumindest gesagt, beinahe fünfzig Jahre.“
Wir dankten ihr und gingen fort. „Nun!“, sagte Herr Wagner und zog die Augenbrauen hoch. „Das ist doch eine interessante Entwicklung.“
„Der Mann ist im Parlament“, erwiderte ich skeptisch. „Er wohnt schon fünfzig Jahre hier. Wer weiß, vielleicht ist er achtzig Jahre alt!“ Die Herausforderung in Herrn Wagners Augen konnte ich jedoch unmöglich ignorieren. „Nun gut“, sagte ich lachend. „Wir gehen hin und fragen. Doch das ist gewiss unsere allerletzte Erkundung. Ich muss nach Purfleet zurück, ehe sich Dr. Seward um mich sorgt.“
Ich hatte Schwierigkeiten, im fahlen Schein der Straßenlaternen die Hausnummern auszumachen, doch Herr Wagner konnte sie mit Leichtigkeit lesen. Er fand die Nummer 24 und klopfte an. Eine stämmige Frau mittleren Alters in der adretten Kleidung einer Haushälterin öffnete uns die Tür. Ihr rotes Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Als sie mich erblickte, zeichnete sich auf ihren Zügen größte Verblüffung ab.
„Du liebe Güte!“, rief sie, und ihre Hand flog zum Mund. „Anna Logan? Wie kann dass denn sein? Aber nein,
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