Dracula - Stoker, B: Dracula
Bett gebrochen haben, was allerdings ein sehr seltener Unglücksfall wäre. Aber ich habe absolut keine |401| Erklärung dafür, wie beides zugleich zugegangen sein sollte: Mit gebrochenem Kreuz konnte er unmöglich seinen Kopf derart zerschlagen, und wenn sein Gesicht schon so aussah, bevor er aus dem Bett fiel, müsste man davon doch Spuren im Bett bemerken!« Ich erwiderte:
»Gehen Sie zu Dr. van Helsing und bitten Sie ihn, sogleich hierherzukommen. Ich brauche ihn augenblicklich!« Der Mann eilte davon, und wenige Minuten später erschien van Helsing in Morgenmantel und Pantoffeln. Als er Renfield auf dem Boden liegen sah, blickte er ihn einen Augenblick scharf an und sah dann auf mich. Ich glaube, er las mir die Gedanken von meinen Augen ab, denn er sagte betont ruhig und eindeutig auf die Ohren des Pflegers berechnet:
»Oh je, was für ein schrecklicher Unfall! Der arme Mann muss dringend versorgt werden, und dann braucht er Pflege! Ich werde das am besten selbst übernehmen, sobald ich mich angekleidet habe. Bitte gedulden Sie sich eine Weile, ich bin sofort wieder zurück!«
Der Patient atmete keuchend; es war klar, dass er schwerste Verletzungen erlitten hatte. Van Helsing kehrte nach kurzer Zeit mit seinem Chirurgenkoffer zurück. Er hatte offenbar schon nachgedacht und einen Plan gemacht, denn noch ehe er sich um den Patienten kümmerte, flüsterte er mir zu:
»Schicken Sie den Pfleger weg. Wir müssen mit Renfield allein sein, wenn er nach der Operation wieder zu sich kommt.« Also sagte ich:
»Ich denke, das war’s, Simmons. Wir haben alles getan, was im Augenblick geschehen kann. Sie setzen am besten Ihren Rundgang fort, während Dr. van Helsing operiert. Und informieren Sie mich bitte sofort, wenn etwas Außergewöhnliches vorkommt.«
Der Pfleger ging, und wir begannen eine eingehende Untersuchung des Verletzten. Die Wunden im Gesicht waren nur oberflächlich, die eigentliche Verletzung war eine Schädelfraktur, die |402| sich über den gesamten Bereich des motorischen Zentrums des Gehirns erstreckte. Der Professor sagte:
»Wir müssen den Schädelinnendruck verringern und soweit wie möglich normalisieren. Das Tempo der Einblutungen zeigt, wie bedrohlich die Verletzung ist, die gesamte motorische Zone scheint betroffen zu sein. Der Bluterguss ins Gehirn wird immer stärker, wir müssen ihn trepanieren 1 , sonst hat er keine Chance.« Während er sprach, hörten wir leise Schritte vor der Tür. Ich öffnete und sah im Korridor Arthur und Quincey in Pyjamas und Hausschuhen stehen. Arthur sagte:
»Ich hörte, wie der Pfleger Dr. van Helsing zu einem Unfall rief, also weckte ich Quincey. Oder besser: Ich sagte ihm Bescheid, denn er schlief nicht. Die Dinge laufen ja so rasch und sie sind zu seltsam, als dass derzeit irgendeiner von uns gut schlafen könnte. Ich schätze, ab morgen Nacht wird das wieder anders sein, dann werden wir etwas klarer auf das Vergangene und weiter voraus in die Zukunft blicken können … Dürfen wir eintreten?« Ich nickte und hielt ihnen die Tür offen. Nachdem sie eingetreten waren, verschloss ich sie wieder. Als Quincey die Lage des Patienten sah und seinen Zustand an der Blutlache auf dem Fußboden erkannte, fragte er mitleidsvoll:
»Mein Gott, was ist denn mit dem geschehen? Der arme Teufel!« Ich schilderte ihnen kurz die Situation und fügte hinzu, dass wir hofften, er werde nach der Operation wenigstens kurzzeitig das Bewusstsein zurückerlangen. Quincey ging sofort aus dem Weg und setzte sich auf die Bettkante, Godalming nahm neben ihm Platz. Unsere Augen ruhten auf van Helsing.
»Es dauert noch ein wenig«, sagte van Helsing, »ich muss die richtige Stelle für die Trepanation finden, damit wir das Blutgerinnsel so schnell und gründlich wie möglich entfernen können. Und wir müssen warten, bis die Einblutung aufgehört hat.«
Die Minuten, die wir untätig bleiben mussten, vergingen mit |403| quälender Langsamkeit. Ich war entsetzlich niedergeschlagen, und auch van Helsings Züge verrieten, dass er über das Kommende besorgt war. Davon überzeugt, dass Renfield sprechen würde, fürchtete ich mich davor,
was
er sagen würde. Ich wagte es mir gar nicht vorzustellen, die Ahnung des Kommenden lag auf mir wie auf einem, der schon die Totenuhr ticken hört. Der Atem des armen Mannes war unregelmäßig und röchelnd. Immer wieder schien es, als würde er gleich die Augen öffnen und sprechen, aber jedes Mal kam nur ein Stöhnen aus seinem Mund, und er sank in
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