Draculas Darling
eine Vergangenheit, die besser nicht ans Tageslicht kam, obwohl auch jetzt immer wieder welche über gewisse Affären stolperten. Meist über kleine Sex-Skandale oder Korruption.
Im Vergleich zu seiner Vergangenheit war das lächerlich. Sie auszuradieren war ihm unwahrscheinlich wichtig. Wenn nur das verdammte schlechte Gewissen und zugleich die Angst um seine eigene Person nicht gewesen wäre.
»Scheiße«, sagte er und nahm einen Schluck von seinem Edel-Whisky. Unruhig wanderte er durch den großen Wohnraum, der mit wertvollen Möbeln bestückt war. Er konnte es spüren. Es kam etwas auf ihn zu. Er überlegte, ob er einen Fehler begangen hatte. Er und Chapman hatten Bescheid gewusst, und es war eigentlich Chapman’s Idee gewesen, endlich aufzuräumen.
Ritter hatte sich damit auch einverstanden erklärt. Dann aber waren ihm Bedenken gekommen. Wenn er an Draculas Darling dachte, überlief ihn noch jetzt ein eisiger Schauer. Er sah eine gewaltige Gefahr in ihm. Zu sterben war schlimm, aber durch den Biss eines Vampirs in ein Dasein des Schreckens geschickt zu werden, dafür fand er kaum einen Vergleich. Das überstieg seine Vorstellungskraft, aber die Angst wühlte weiter in ihm.
Er trank sein Glas leer und ging in den Erker. Dort zog er die Vorgänge so weit zur Seite, dass er durch den Spalt nach draußen schauen konnte. Die Straße lag ruhig vor ihm. Die Laternen verstreuten ihr Licht, durch das unzählige Regentropfen fielen. Der große Schnee war vorbei. Das Glatteis auch. Jetzt regnete es nur, und der Streik der U-Bahn-Angestellten war ebenfalls überstanden. London konnte wieder aufatmen.
Ritter tat es nicht. Er drehte sich vom Fenster weg und goss aus der Karaffe Whisky nach. Sie stand auf einem Servierwagen zusammen mit anderen Getränken.
War es der richtige Weg gewesen?
Pete Ritter wusste es nicht. Er konnte alles gut gehen. Er wollte auch keinen Ärger mehr in seinem Leben haben. Wer die 60 bald erreicht hatte, sehnte sich nach einem ruhigen Job und hatte mit der Vergangenheit abgeschlossen.
Im Normalfall.
Er musste die Vergangenheit aufarbeiten.
Es sollte die Ausputzer nicht mehr geben, wobei er daran dachte, dass es sie offiziell nie gegeben hatte. Aber nun sollte richtig Schluss gemacht werden. Dagegen hatte er auch keine moralischen Bedenken, wenn nur nicht der Vernichter eingesetzt worden wäre.
Zu leicht konnte sich Pete Ritter vorstellen, dass der Blutsauger durchdrehte und seine Grenzen sprengte.
»Draculas Darling«, flüsterte er vor sich hin und schüttelte den Kopf. Es war ein Name, den Chapman erfunden hatte. Chapman, der eiskalte Hund, der Zyniker, der Mann, der die Gruppe der Ausputzer ausgebildet hatte. Einer, der zwar wie ein Mensch aussah, aber mehr wie eine Maschine reagierte.
Chapman hatte ebenfalls einen anderen Job gefunden. Er war Sicherheitsberater und wurde hin und wieder engagiert, wenn jemand eine neue Kampftruppe zusammenstellte. Wer durch seine Hände gegangen war, den konnte so leicht nichts mehr erschüttern.
Chapman war jünger als Ritter. Und er war noch besser in Form, das wusste Pete auch.
Jetzt konnte er seine Hoffnungen nur auf diesen Sinclair und seinen Kollegen Suko setzen. Wenn jemand den Vernichter ausschalten konnte, dann die beiden. Obgleich sich Pete auch jetzt noch nicht vorstellen konnte, dass es auf der Welt tatsächlich Vampire gab und sie nicht in das Reich der Fabeln und schaurigen Legenden gehörten. Er hatte sich damit abgefunden, aber er war nicht bereit, näher darüber nachzudenken.
In seiner Wohnung war es still. Das gefiel ihm. Überhaupt gefiel es ihm, allein zu leben. Er machte sich auch keine Gedanken darüber, was andere über ihn dachten. Sein Sexleben war früher mal aktiver gewesen. Da war er dann auf seinen Reisen ins Ausland hin und wieder zum Privatmann geworden und hatte sich die Callboys in verschwiegene Hotelzimmer kommen lassen. Das hatte er zwar nicht ganz abgestellt, aber sehr reduziert, und er kam gut damit zurecht.
An der Wand und über einem ovalen Tisch mit Blumenschmuck darauf hing ein Spiegel.
Ritter blieb stehen, als er die gleiche Höhe erreichte. Es war so viel Licht vorhanden, dass er sich gut im Spiegel erkennen konnte. Er betrachtete sich und schauderte leicht zusammen, denn sein Aussehen gefiel ihm gar nicht.
Ich sehe zu alt aus!, dachte er. Schon verbraucht. Grau das Gesicht, noch grauer die Haare. Müde Augen. Um die Mundwinkel herum hing die Haut leicht lappig nach unten. Auch seine Kleidung hatte
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