Dracyr – Das Herz der Schatten
Dienstboten, der Klatsch, den die Zöglinge austauschtenâ das alles perlte doch an seiner kalten Oberfläche ab wie Wasser an einem Lotosblatt.
Damian stand jetzt dicht vor ihr, und sie hob den Kopf, um ihn anzusehen. Er blickte an ihr vorbei und musterte die anderen. Seine Miene war undurchdringlich, aber sie konnte das Spiel der kleinen Muskeln an seiner Wange und seinem Kiefer erkennen. Jemand oder etwas setzte ihn unter Druck, und zwar gewaltig.
» â¦haltet euch also heute und in den nächsten Tagen für Formationsflüge bereit « , sagte Damian gerade. Kay hatte dem Anfang seiner Rede nicht zugehört und sah alarmiert zu Branwen, die sich aufgesetzt hatte und starr zu Damian aufsah. Sie sah unglücklich aus. Nein, mehr als das: In ihren Augen stand blanke Panik.
» Seine Lordschaft wünscht, dass wir in voller Stärke gegen die Rebellennester vorgehen. Es darf nicht wieder vorkommen, dass ein Dracer durch einen Zufallstreffer verletzt wird. Ich werde mit euch vor allem die Anflug- und die Ausweichmanöver trainieren, und wir werden bei der Ãbung darauf achten, dass der Neuling in der Formation immer einen erfahrenen Dracer zur Seite hat, der ihn abschirmt. Gormydas ist schnell und wendig, aber er ist unerfahren und impulsiv. Kay, du wirst noch ein paar zusätzliche Stunden absolvieren müssen, ich entbinde dich hiermit von der Pflicht, am Unterricht teilzunehmen. Komm nachher zu mir in den Pferch. « Er sah Kay nun endlich doch an und hob eine Braue. » Einwände? «
» Nein « , sagte sie. » Ich werde dort sein. «
Damian nickte steif und verlieà den Raum, ohne das aufkommende Wispern, Tuscheln und Flüstern der Zöglinge zu beachten.
» Kay, ich will nicht « , hörte sie Branwen wimmern. » Ich kann das nicht. « Sie barg das Gesicht an Kays Schulter.
Master Croygar beendete die Stunde lustlos und ohne sich noch einmal über Kay oder Branwen zu mokieren. Kay packte ihre Bücher und griff nach Branwens Ellbogen. » Ich muss in den Pferch « , sagte sie. » Aber ich habe noch nichts gegessen. Kommst du mit in die Küche? «
Sie schwiegen, bis sie von einer Küchenhilfe Brot und Käse und etwas Obst bekommen und sich damit in den Garten zurückgezogen hatten. Kay strich den weichen Käse dick auf ihr Brot. » Ich bin halb verhungert « , sagte sie mit vollem Mund. » Habe seit vorgestern nichts zu essen bekommen. «
Branwen pickte appetitlos an ihrem Essen herum und starrte ins Leere. Ihre Augen waren rot.
Kay schluckte und stellte ihren Teller auf dem Mäuerchen ab, auf dem sie hockten. Es duftete intensiv nach Kräutern und reifendem Obst und ein Anfall von Heimweh machte ihr die Kehle eng.
» Was ist los, Branwen? « , fragte sie. » Was bringt dich so durcheinander? «
Ihre Freundin beugte sich vor und barg das Gesicht in den Händen. » Es war mein erster Flug « , sagte sie erstickt. » Ich habe mir das nicht so vorgestellt. «
Kay verstand nicht gleich. » Du bist doch schon oft geflogen « , sagte sie.
Branwen schüttelte den Kopf. » Nein. Nicht bei einem echten Einsatz. «
» Oh « , sagte Kay. Sie dachte an das, was sie von der Mission gehört hatte, und schauderte. Ein ganzes Dorf, ausgelöscht in einigen schrecklichen Minuten der Gewalt und des Feuers. Branwen war mittendrin gewesen, ihr Dracer Rystadin hatte wie die anderen Feuer gespuckt, Fliehende verfolgt, Menschen zerfleischt. Und das war es, was ihr und Gormydas in wenigen Tagen bevorstand. Falls es ihr nicht vorher gelang, den Dracyrlord (und seinen Sohn, flüsterte ein Stimmchen) in das Reich des Todes zu befördern. Sie schauderte wieder und rieb ihre Arme.
Branwen hob das Gesicht und sah sie an. » Ich kann es nicht « , sagte sie klar und ohne jede Emotion. Ihre Augen waren trocken. » Ich werde bis an mein Lebensende nicht vergessen können, was ich gesehen⦠was ich getan habe. Es war so grauenhaft, dass die Bilder mich in den Schlaf verfolgen. Ich werde den Gehorsam verweigern, Kay. «
Kay griff unwillkürlich nach ihrem Arm. » Sie werden es nicht zulassen. «
Branwen presste die Lippen zusammen. » Wie wollen sie mich zwingen? Sie können mich nicht auf Rystadins Rücken festbinden. Er würde nicht zulassen, dass man mir Gewalt antut. «
Kay erwiderte ihren Blick und schüttelte den Kopf. » Branwen, Lord Harrynkar wird dich zwingen.
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