Dragon 01: Der Schrein des schlafenden Gottes
bedenken.
Agrion und Iwa kamen aus einem der sieben Häuser gerannt. »Amee und Partho sind da!« rief Agrion. »Sie haben einen Mann mitgebracht.«
»Einen Mann, dessen Hunger seine Zunge lähmt!« klagte Nabib und schwang sich aus dem Sattel. Als seine Beine den Boden berührten, knickte er in den Knien zusammen und hielt sich am Steigbügel fest. Amee und Iwa verständigten sich mit einem langen Blick.
Partho nahm die Zügel der Pferde und führte die Tiere hinter eines der Häuser. Dort löste er die Sättel und die Zügel und öffnete das Gatter, das zu einer Weide und zu einer Tränke führte.
Aus dem Haus kam ein großer Mann, dessen Gestalt Würde und Zuversicht ausstrahlte. Amee lief auf ihn zu.
»Bruder Damos!« rief sie glücklich.
Er nahm sie väterlich in die Arme, ergriff sie dann an den Schultern und schob sie von sich. Seine Augen musterten sie prüfend. Damos war in ein langes weißes Gewand gekleidet. Ein breiter Vollbart und fast gänzlich silberweißes Haar umrahmten sein Gesicht. Der Bart zeigte wie die Augenbrauen ein Muster aus Grau und Weiß.
»Ich bin über alles unterrichtet worden, mein Kind«, sagte er mit tiefer, hallender Stimme. »Geht ins Haus. Stärkt euch und ruht euch aus. Seid alle willkommen in unserer abgeschiedenen Welt.«
Amee drückte seine Hände und lächelte den breitschultrigen Mann an. Er mußte gut über fünfzig Sommer zählen. Seit fünfzehn Jahren unterrichtete er sie bereits. Sie warf einen langen Blick hinüber zum Tempel.
Damos sagte mit gutmütigem Spott: »Er ist noch immer dort und wartet auf dich, Amee. Aber du gehst besser ins Haus und wäschst dich erst – du bist häßlich wie eine alte Frau.«
Agrion kam und nahm Amee bei der Hand. Nebeneinander gingen sie auf das niedrige, gemauerte Haus zu. Partho und Nabib bewunderten das viele Grün. Kaum ein Blatt war hier verdorrt. Sie traten ein, und Iwa rieb sich den Schlaf aus den Augen.
»Ein scheußlicher Tag. Ein scheußliches Licht«, sagte sie und musterte Nabib nicht ohne Koketterie. »Es läßt mich so alt aussehen. Heißer Tee. Amee?«
»O ja, bitte. Und ein Bad mit deinen Kräutern wäre himmlisch!«
»Eins nach dem anderen!« sagte Iwa. Sie schob den Kessel über das Feuer und begann zu hantieren. Kurze Zeit später hatte sie mit Agrions Hilfe eine kleine Mahlzeit aufgetischt. Die Flüchtlinge kamen an den Tisch. Auch Damos und einige seiner Freunde gesellten sich dazu.
Agrion betrachtete die Menschen um sich herum und fühlte sich plötzlich geborgen. Sie alle hatten eine Insel der Ruhe erreicht. Mitten im Essen schlief Amee ein.
Agrion zog der Prinzessin die schmutzigen Stiefel aus und ging, um sie am Brunnen zu putzen. Kurze Zeit später kamen Damos, Partho und Nabib heraus und beobachteten den Sonnenaufgang.
»Bruder Damos«, sagte Nabib und verbeugte sich ein wenig. »Ich habe viel von dir gehört. Ich bin ein vom Schicksal mißhandelter und total verarmter Händler, dessen Karawane von weit her kam. Auch ich kenne die Burg an der Flanke des Ah’rath. Mit deinen Brüdern ist gut handeln. Sie verstehen viel von vielen Dingen, aber …«
Partho schlug ihm auf die Schulter und wischte sich die Schicht von Staub und Schweiß von der Stirn.
»Eigentlich hatte ich geglaubt, Bruder Damos, daß die Häuser hier längst verlassen wären.«
Damos schüttelte den Kopf und wandte sich zurück zum Haus. »Nein. Wir müssen hier ausharren. Es gilt, den Schrein um jeden Preis zu schützen. Er ist vielleicht unsere einzige Hoffnung in dieser dunklen Zeit.«
»Meiner Seel’«, brummte Nabib. »Ein Schrein mit einem Götzen!«
»Nenn ihn nicht einen Götzen!« wies ihn Damos barsch zurecht. »Er ist kein Götze. Wir glauben, daß er ein Mann ist, der aus dem Goldenen Zeitalter stammt.«
Partho sagte mit einem entschuldigenden Grinsen: »Nabib ist fremd und kann noch immer vor lauter Hunger nicht klar denken. Und er redet zuviel. Wenn er so gut kämpft, wie er redet, werden wir morgen die Männer Obads mit seiner Zunge in die Flucht schlagen.«
»Morgen wird sich die Sonne verfinstern«, sagte Damos ernst. »Das ist sicher. Wir haben es ausgerechnet. Aber so, wie sie sich verfinstert, erhellt sie sich auch wieder, ohne daß Dämonen im Spiel wären. Wir haben es den Bauern, die wir belehren, immer wieder gesagt.«
Partho spuckte in den Staub. »Und morgen kommen dieselben Bauern und brennen hier alles nieder, nachdem Ada verblutet ist.«
Er stampfte mit dem Fuß auf und bemerkte, daß er
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