Dragon 01: Der Schrein des schlafenden Gottes
lang und kreischend, kamen von überall her. Vampire flatterten ziellos durch die Kronen der Bäume, klatschten gegen Stämme und fielen ins Gras, wo sie als dunkle, doppelte Dreiecke mit zuckenden Schwingen liegenblieben oder davonkrochen. Partho zählte mindestens dreißig dieser gespenstischen Geschöpfe. Er zog seinen Mantel über Agrions Körper.
»Ganz still!« sagte er leise.
Ein höllischer Reigen raste durch Äste und Kronen. Blätter regneten herab, und Vögel fielen aus den Nestern. Pausenlos huschten die Vampire um das Baumhaus herum. Es war, als sei der Sterbende aufgestanden und hätte sie mit einem bösen Fluch belegt. Die schwarzen Körper vollführten einen Tanz, der für viele von ihnen tödlich war. Die Schreie stachen wie spitze Nadeln in die Ohren der neun Menschen.
Partho sah, wie sich ein Zeltvorhang bewegte. Er rief warnend: »Bleibt in den Zelten!«
Die Bewegungen erstarrten. Nur die Pferde scheuten ununterbrochen. Die Schreie, die huschenden Körper, die dumpfen Laute des Fallens – alles vermischte sich zu einem Geräusch, das wahrlich das Blut in den Adern gefrieren ließ. Schließlich wurden die Schreie schwächer und seltener. Noch einmal splitterten Äste, als zwei Körper herunterfielen. Ein Vampir landete im Feuer, stäubte die Asche hoch. Die Glut versengte ihn. Er kroch leise wimmernd vom Feuer weg, erschlaffte zuckend und sah mit brechenden Augen hinauf zum Mond.
Dann herrschte Ruhe.
Partho stützte sich auf den Ellenbogen, berührte das Gesicht Agrions und schob eine Strähne ihres langen Haares von der Stirn.
»Bleib hier. Nimm meinen Dolch. Ich sehe nach.«
Er zog sich schnell an, fuhr in die Stiefel und nahm das Schwert in die Rechte. Als er zwischen den Zelten hindurchschritt, begann er zu begreifen, was geschehen war.
»Der Wein!« murmelte er. »Der Wein enthielt etwas, das die Vampire so rasend machte.«
Sie werden sehr böse sein, hatte der Sterbende gesagt. Partho spürte den großen Ring und blieb neben dem Feuer stehen. Die Steine schienen zu glühen in seinem Schein.
»Es ist vorbei!« rief er. »Das vergiftete Blut des sterbenden Hexers hat die Vampire getötet. Afkral?«
»Hauptmann?«
»Ich kümmere mich um die Pferde. Du übernimmst die nächste Wache!«
»Bin bereit, Hauptmann!«
Der junge Krieger ging hinüber zu den Tieren, die sich bald beruhigt hatten. Er klopfte ihre Hälse, sprach leise auf sie ein und brachte sie vollends zur Ruhe. Sie begannen wieder, Gras zu rupfen. Mit der Spitze des Schwertes drehte Partho vorsichtig einen Vampir um, der im Mondlicht lag und mit den Krallen der Flügelenden zuckte. Das Tier verfärbte sich langsam. Aus Schwarz wurde ein fleckiges Grau.
Er ging einmal durch den Hain. Die aufgeschreckten Vögel kehrten in die Nester zurück und schimpften noch eine Zeit vor sich hin. Das nächste deutliche Geräusch entstand, als Afkral aus dem Zelt kam. Seine Waffen klirrten leise. Außer den Vampiren, die am Boden lagen und starben, fand Partho nichts Ungewöhnliches. Er kam wieder zurück zum Feuer und sah zu seinem Erstaunen hinter der Zeltwand ein undeutliches Leuchten.
»Dragon?« fragte er beunruhigt.
»Mein Sonnenamulett spürt den Tod der Vampire. Es wird aufhören, wenn sie alle tot sind, denke ich. Bist du unverletzt?«
»Ja«, entgegnete Partho. »Ich glaube, für heute nacht ist der Spuk vorbei.«
Der Hauptmann kam am anderen Zelt vorbei, und Amee streckte ihren Kopf heraus. Partho kauerte sich neben sie.
»Wann wachst du auf aus deinem Traum und nimmst dir den Mann, den du liebst?« flüsterte er.
Sie sah ihn verdutzt an, dann lächelte sie nachsichtig.
»Wann wirst du die Augen weit genug öffnen, um zu erkennen, daß Agrion dich liebt?«
Partho schüttelte langsam den Kopf. »Sie begehrt mich, aber ich fürchte, sie liebt mich nicht. Das sind zwei verschiedene Dinge.«
Er richtete sich auf und ging zu Agrion zurück. Undeutlich erkannte er, daß sie ihm entgegensah. Er stieß sein Schwert in den Boden, zog die Stiefel aus und breitete Decken und Mantel auf der weichsten Stelle aus.
Das erste, was Iwa sah, als sie das Zelt verließ, waren die Geier. Sie kreisten zahlreich in großer Höhe über dem Hain. Iwa nickte Partho zu, der ihr einen langen, prüfenden Blick zuwarf.
Die Gruppe brach auf. Die Pferde wurden herangeführt und beladen. Iwa blieb neben dem Pferd stehen und verschloß eine der großen Satteltaschen.
Partho sagte leise zu ihr: »Du hast gewußt, was heute nacht geschehen
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