Dragon 01: Der Schrein des schlafenden Gottes
an strahlenden Felsen, so nahe, daß oft die Stiefel oder Schultern die Gesteinsflächen berührten und die Schweife der Pferde den Staub vom Stein fegten.
Alles schien unter der kochenden Hitze zu schmelzen, seine Form zu verlieren. Die Felsen verschwammen in den geblendeten Augen. Die Schatten nahmen eine drohende Farbe an, als ob sie geheimnisvolle Dinge mit eigenem Leben seien. Die Luft selbst schien zu kochen. Dann, als die Belastung für die neun Menschen ihren Höhepunkt erreicht hatte, ertönte von der Spitze der Karawane ein langgezogener Schrei.
Sondart verstand undeutlich: »Wir sind durch! Wir sind gleich am Wasser!«
Der Weg senkte sich. Die Felsen wichen zurück, die Schatten verschwanden fast völlig. Dann tauchte links eine graugrüne Felswand auf, wuchs mit jedem Schritt mehr und mehr in die Höhe. Ein eiskalter Windhauch fuhr den Erschöpften entgegen.
Sie waren im Schatten.
Vor ihnen erschien die Kerbe einer langgezogenen Schlucht, die im Laufe langer Zeit vom reißenden Wasser ausgewaschen worden war. Das Wasser hatte Gesteinsmassen heruntergerissen, sie zum Teil zermahlen und gewaltige Brocken zwischen den engen Wänden eingeklemmt. Sie hingen dort, stützten sich links und rechts auf die Felsen und bildeten Brücken. Auf einigen wuchsen verkrüppelte Bäume und Schlingpflanzen, die wie Seile nach unten hingen.
Die letzten Regenfälle hatten eine Reihe von Pfützen hinterlassen.
Dragon jagte wie ein Rasender an Partho vorbei. Er ritt inzwischen so gut wie der junge Krieger. Es war, als habe er jahrelang nichts anderes getan und sei in der Zwischenzeit nur ein wenig aus der Übung gekommen.
Eine Reihe Pfützen zog sich die Schlucht entlang, die völlig im Schatten lag. Nur an zwei Stunden des Tages schien hier die Sonne herein. Es war sehr kühl. Das Wasser schien sauber und unverdorben zu sein.
Dragon ritt scharf auf die erste Pfütze zu, sprang im Trab aus dem Sattel und lief neben dem Pferd her, das sich auf das Wasser stürzen wollte. Dragon zog den Kopf des Tieres mit Gewalt hoch, ging in die Knie und wusch zuerst seine Hände, dann schöpfte er Wasser in der hohlen Hand, roch daran, steckte die Zunge hinein und sprang auf.
Er sagte nichts, sondern nahm dem Pferd die Gebißstange aus dem Maul. Durstig senkte das Tier den Kopf Augenblicklich verteilten sich alle auf die einzelnen kleinen Pfützen. Sie wuschen sich die Gesichter, tauchten die Köpfe hinein und tranken. Dann nahmen sie Lappen und säuberten die Köpfe der Tiere.
Partho grinste, als er die Reihe entlangblickte. Er wrang das Tuch aus, wischte über seine Stirn und hoffte, daß Nabibs Bericht vom Wasserfall keine Aufschneiderei war. Sie alle, Tiere wie Menschen, hatten ein Bad dringend nötig – und auch Teile der Ausrüstung mußten gewaschen werden.
»Das war eine Qual, Partho«, sagte Agrion. »Aber wir haben es geschafft. Hast du gesehen, wie klug sich Dragon verhielt?«
»Ich hätte nichts anderes getan«, sagte er leise. »Aber du hast recht: Ich habe auch weniger lang geschlafen als er.«
»Und du bist kein Gott«, erinnerte sie ihn lächelnd. Sie sah erbarmungswürdig aus, aber sie alle waren im Augenblick nicht besonders attraktiv. »Nur ein liebenswerter, dickschädliger Mann. Das ist schon fast zuviel.«
»Heute abend«, sagte er lachend, »werde ich dich nicht lieben, sondern ein bißchen verprügeln für deine Frechheit.«
Er blickte in ihr Gesicht und sah die Veränderung. Ihr Lächeln erstarb jäh, sie biß sich auf die Lippen, und die Augen wurden dunkel. Partho begriff … Er wußte nicht, was sie in den siebzehn Jahren erlebt hatte, bevor sie in den Palast gekommen war. Er senkte den Kopf und legte die Hand an ihre Wange.
»Verzeih!« sagte er leise. »Ich habe es nicht so gemeint!«
»Ich weiß es«, sagte sie, wandte sich ab und ging zurück zu ihrem Pferd, das immer wieder den Kopf in die Pfütze stieß.
»Verflucht!« sagte Partho. »Ich bin ein Narr!«
Etwa eine Stunde später ritten sie alle wieder weiter. Die ersten Sonnenstrahlen fielen über den Rand der Schlucht. Eine Brücke aus Stein nach der anderen hing gefährlich über den Reitern. Erdreich, entwurzelte Bäume und ein Skelett eines Kamels, das unter einem Stein hervorsah, bewiesen, daß der Ritt alles andere als ungefährlich war.
Dragon ritt neben Partho, warf von Zeit zu Zeit einen langen, prüfenden Blick auf die gewaltigen Felsbrocken und sagte schließlich:
»Bist du diese Strecke schon einmal geritten,
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