Dragon 01: Der Schrein des schlafenden Gottes
fiel.
Ubali rief den Männern zu: »Habt ihr die Prinzessin gesehen? Oder Spuren von ihr? Zerrissene Kleider?«
Die Männer kamen näher. Ihre Arme und die Gesichter waren zerkratzt, die Hände rußgeschwärzt und blutbedeckt.
»Nein, nichts!« war die Antwort.
»Ich habe ein paarmal gefragt«, sagte Nabib keuchend und wischte sich Schweiß und Rußflocken aus der Stirn. »Niemand hat Amee gesehen. Schlage es dir aus dem Kopf, Dragon, daß sie von Cnossos hierhergebracht worden ist.«
Männer mit brennenden Fackeln bewegten sich durch die Höhle und gingen schnell dem Ausgang zu. Als die Krieger nach oben blickten, sahen sie, daß die Galerien leer waren. Es gab offensichtlich keine Vampire mehr in diesem Teil des steinernen Labyrinths. Die Wesen, die dort schlafend und satt gehangen hatten, waren tot oder geflohen.
Das Feuer am Eingang, zwischen den Felspfeilern, war niedergebrannt. Etwa zwanzig Zü-ip kamen in schnellem Flug aus einem anderen Teil der Höhle, herunter aus einem hochgelegenen Stollen, den die Krieger erst jetzt entdeckten. Die Zü-ip schossen dicht über den Köpfen der Angreifer dahin, versengten sich die Schwingen an den Flammen der Fackeln und stoben in die Nacht hinaus, vorbei an den wartenden Männern auf dem breiten Felsband.
»Einige sind entkommen!« sagte Nabib. »Ungefähr fünfmal hundert Zü-ip haben wir getötet.«
Dragon war stehengeblieben und sah hinauf zu der Seitenhöhle. Er hob die Fackel, stieß das Schwert zurück in die Scheide und lief nach hinten. Ubali knurrte etwas Unverständliches und folgte ihm auf dem Fuß.
Dragon blickte den runden, ausgezackten Eingang an und begann, die Felsen hochzuklettern. Er schwang sich behende von Vorsprung zu Vorsprung, turnte zwischen den Spalten hin und her und zog sich an einer Felsleiste hoch, nachdem er den Schaft der Fackel in einem Spalt festgeklemmt hatte. Dann holte er die Fackel wieder, bückte sich und ging in den gewundenen Stollen hinein. Die Wände leuchteten fahlgelb, und der Boden war mit zerbrochenen Knochen, Tierschädeln und Exkrementen übersät. Vorsichtig ging Dragon weiter.
»Amee!« rief er halblaut. »Bist du hier?« Er schwenkte die Fackel.
Er sah auch hier nichts anderes als viele Felsvorsprünge, die von den Krallen der Vampire zerkratzt waren. Die Nebenhöhle war nicht sehr groß; mehr als einhundert Blutsaugern hatte sie nicht Platz bieten können.
»Verdammt!« sagte Dragon. »Nichts.« Er konnte trotz angestrengter Suche keine Spuren entdecken, aus denen er auf die Anwesenheit Amees hätte schließen können.
War dies, dachte er bei sich, ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Aber er neigte mehr und mehr dazu, sich Nabibs Meinung anzuschließen, daß Amee nicht hierher verschleppt worden war.
»Der Rachefeldzug ist vorüber!« sagte er und kletterte langsam wieder nach unten. »Die meisten Vampire sind tot. Und wahrscheinlich war dies nur ein Stamm von vielen Stämmen der Zü-ip. Kehren wir zurück zu Partho und Ada und beraten dort, was nun zu tun ist.«
Tiefe Niedergeschlagenheit erfüllte ihn, als er wieder neben Ubali stand.
»Nichts gefunden, Dragon?« fragte der schwarze Krieger.
»Nein. Nicht eine Spur!«
Ubali versuchte, ihn zu trösten: »Du wirst sehen, daß die Vampire Amee nicht entführt haben. Du wirst vielleicht auch sehen, daß die Prinzessin wieder wohlbehalten im Lager ist. Vielleicht ist sie im Schlaf aus dem Zelt gerannt.«
Dann fiel ihm ein, daß dieses Mädchen – Wie hieß sie? Ja, es war Zaida – ihm gesagt hatte, daß sie die Hufschläge zweier Pferde gehört hatte, ehe der Angriff der Zü-ip begann. Ubali beschloß, diese Frage im Lager zur Sprache zu bringen. Vielleicht ergaben sich dort Antworten darauf.
Zusammen gingen sie aus der Höhle hinaus und blieben stehen, als der Häuptling auf Dragon zurannte und hervorstieß:
»Wir haben sie besiegt. Die Hälfte der tapferen jungen Krieger ist schon auf dem Weg nach unten.«
Dragon legte Zainu die Hand auf die Schulter. »Du hast Zetto wieder, aber ich muß nach Amee suchen.«
»Sei nicht traurig, mein tapferer Gast«, sagte Zainu ernst. »Solange ich den Stamm führe, hat jede Frage eine Antwort bekommen. Klettern wir erst einmal hinunter zu den Tieren, essen und schlafen … dann wird sich im Licht des Morgens alles anders darstellen.«
»Du hast recht!« entgegnete Dragon.
An den gefährlichen Punkten der Felswand blieben Männer mit Fackeln und Seilen stehen. Sie hatten sich angeschnallt und die Seile um
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