Dragon Sin: Roman (German Edition)
Alle, die in den Provinzen leben. Die Soldaten, die Wachen, die Frauen, die Kinder. Ich könnte sie alle umbringen, bis ich mein Ziel erreicht habe. Bis ich die Person getötet habe, die ich für dich töten soll. Du willst ihren Kopf, nicht wahr? Ich könnte ihn dir bringen. Ich könnte immer wieder zustechen, bis ich diesen götterverdammten Kopf habe! Ich könnte …«
Er leckte sie ab. Seine riesige feuchte, ekelige Zunge schlabberte ihr über die Stirn.
Sie beugte sich von ihm fort, blinzelte ein paarmal, und nun sah sie alles deutlich. Sie schaukelte nicht mehr. Sie plapperte nicht mehr.
Annwyl sah das an, was neben ihr saß. »Du hättest früher kommen sollen«, sagte sie ruhig. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich alle Hoffnungen zunichtegemacht habe, die wir in seine Hilfe gesetzt haben.«
Sie holte tief Luft. Es fühlte sich so gut an, wieder ohne all das Geschrei in ihrem armen Hirn zu denken. »Wenn du nur willst, dass ich töte …«
Er drückte seine Schnauze gegen ihre Wange, und nun hörte Annwyl seine Stimme in ihrem Kopf. Er sprach immer nur auf diese Weise mit ihr. Vermutlich lag es daran, dass er ein großer, zotteliger Wolfsgott war. Als er ein einziges Mal leise in ihrer Nähe gejault hatte, war tagelang Blut aus ihren Ohren getropft. Sie hatte geglaubt, für immer taub zu sein. Deshalb redete er nur noch auf diese Weise zu ihr. Er sagte Dinge in ihrem Kopf, und sie hörte zu. Es blieb ihr nichts anderes übrig.
Denn auch Thracius hatte einen Gott auf seiner Seite, der ihm half zu kämpfen und sogar zu siegen, wenn Annwyl nichts dagegen unternahm. Wenn Annwyl nicht gegen alles handelte, woran sie glaubte, und ihre Seele einem Gott auslieferte. Wenigstens mochte sie Hunde. Das machte es einfacher.
»In Ordnung«, sagte sie zu ihm, als er ihr mitgeteilt hatte, was sie tun musste. »Ich werde es vorschlagen. Aber wenn das hier vorbei ist« – sie sah den Gott an, der neben ihr lag – »will ich mein Leben zurück.«
Er nickte und drückte sich an sie.
»Ist das wirklich nötig?«, fragte sie. »Ich bin nicht irgendeine Hure, die alles auf Kommando macht. Ich bin eine verdammte Königin!«
Aber ihr Protest wurde nicht beachtet, und er drückte sich noch stärker an sie.
Seufzend kniete Annwyl sich hin. »Na gut«, sagte sie, »aber wenn du es jemals Fearghus erzählst, werde ich Mittel und Wege finden, um dich zu vernichten.«
Sie warf einen raschen Blick in die Runde und vergewisserte sich, dass sie allein waren. Dann packte Annwyl den Wolfsgott, dessen Name Nannulf lautete, zu beiden Seiten seines Kopfes hinter den Ohren und kraulte ihn kräftig durch.
Der Wolfsgott rollte sich auf die Seite, während sich Annwyls Hände noch auf ihm befanden. Seine Zunge hing ihm aus der Schnauze, er hatte die Augen geschlossen, und ein leises Knurren drang aus seiner Kehle und ließ die Höhlenwände erbeben.
»Du bist wirklich schamlos«, sagte Annwyl und konnte nicht anders, als zu lächeln. »Verdammt schamlos!«
Rhona zog sich gerade an, als die Höhlenwände leicht erzitterten. Sie schaute hinüber zu Vigholf. »Ein Erdbeben?«, fragte sie.
»Es klang so. Aber es kann nur ein kleines gewesen sein.« Als er sich die Stiefel angezogen hatte, stand er auf. »Ich bin …«
»Ja, ich weiß. Du bist schon halb verhungert.« Sie lachte und schüttelte den Kopf. »Geh und hol dir etwas zu essen. Ich komme in einer Minute nach.«
Vigholf machte sich auf den Weg, und Rhona schloss die Augen und schickte ihre Gedanken zu ihren Schwestern. Zu irgendeiner von ihnen. Und dann zu ihren Brüdern. Doch sie erhielt noch immer keine Antwort und versuchte verzweifelt, nicht in Panik zu geraten.
Aber wie sollte ihr das gelingen? Annwyl hatte ihnen erzählt, dass der Angriff auf die Bergfestung begonnen hatte, und Rhona wollte lieber nicht darüber nachdenken, woher die Königin das wusste, wo sie doch vor Rhona und Vigholf zu den Westlichen Bergen aufgebrochen war. Und nun steckte Rhona hier in den Septima-Bergen fest, mit einer Bande wertloser Rebellen, und versteckte sich. Eine Cadwaladr, die sich versteckte! Wie tief war sie gesunken.
»Hast du Annwyl gesehen?«
Rhona öffnete die Augen und schaute hoch. Izzy, frisch gebadet und in sauberen Kleidern, stand im Eingang zu dem privaten Alkoven, den Rhona und Vigholf zu ihrem vorübergehenden Zuhause gemacht hatten. Den Rebellen schien es gleichgültig zu sein, was sie machten. Es war, als ob sie nicht existierten, vielleicht weil ihr König Annwyl
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